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aus dem regal vorlesen

Aus dem Regal

Pierre und Jean von Guy de Maupassant, aus dem Französischen von Ernst Weiß

versus

Ich bin Charlotte Simmons von Tom Wolfe, aus dem amerikanischen Englisch von Walter Ahlers

Es gibt Zeiten im Leben einer Familie, da ist der korrekte Griff in das Regal ganz furchtbar wichtig. In der Schwangerschaft zum Beispiel. Denn da wird vorgelesen.

Britische Spannung hatten wir beim letzten Mal. Das wollten wir nicht einfach wiederholen. Also musste eine Alternative her. Oder gleich mehrere. Wie diese beiden zum Beispiel:

Es ist ein charmantes Paar aus dem Franzosen Guy de Maupassant und dem Amerikaner Tom Wolfe. Zwei Bücher statt nur einem, da kann nichts schief gehen. So dachte ich mir das zumindest. Vollkommen naiv, natürlich.

Das dünne Flittchen kam auf Empfehlung bei den Herzdamengeschichten ins Haus. Der Herzdames Herr Buddenbohm schreibst selbst ganz passabel. Da werden seine Tipps so verkehrt nicht sein. Sollte man meinen. Dumm nur, wenn der schwangeren Frau schon nach den ersten paar Absätzen der Rest der Geschichte erstaunlich präzise klar ist. Das Buch ist ab dem Moment quasi abgeschrieben. Nicht mehr interessant. Da hilft auch der beste Vorleser wenig.

Das kann beim dicken Schinken nicht so leicht passieren. Mehr Seiten – mehr Geschichte, dachte ich mir. Außerdem war es seit einiger Zeit die Empfehlung eines Freund des Hauses. Es ist ein belesener Freund. Seine Meinung passt schon. Meistens zumindest. Nur eben dann nicht so recht, wenn man beiläufig seine Begeisterungsfähigkeit für Teeniegeschichten an amerikanischen Hochschulen unterschätzt. Viel mehr gibt’s hier nämlich nicht. Was die Frau auch bei fortgeschrittener Schwangerschaft schnell durchschaut. Da helfen auch die an J.R.R. Tolkien erinnernden epischen Landschaftsbeschreibungen wenig.

Zwei Griffe ins Regal. Zwei Griffe daneben. Und das schon vor der Geburt. Es sieht so aus, als hätte die Tochter einmal Buchauswahl frei.


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