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Essensarithmetik

Zum Abendessen gibt es Reste. Was weg muss, muss weg. Also kommen die Frischkäse auf den Tisch, die Camemberts, die eingelegten Auberginen, die Salami vom wohl besten Fleischmann des Landes. Alles Reste. Alles angefangen, angeschnitten, irgendwie darin herumgestochert. Immerhin: das Baguette ist frisch und die Melone erst neu aufgeschnitten.

Die Kinder stört’s nicht. Sie langen in vollen Zügen zu. Während die Tochter nur darauf bedacht ist, einfach genug Einzelbestandteile aus den verschiedenen Schälchen vor sich zu haben, um diese angemessen kreativ neu auf dem Tisch arrangieren zu können, ist der Sohn etwas wählerischer. Er geht der Reihe nach vor. Probiert jeweils einzelne Sachen. Und nimmt tatsächlich nicht nur von Käse und Wurst, sondern lässt sich glatt etwas Brot anreichen. Zeichen geschehen. Wunder gleich mit. Man staunt. Und der Sohn ordert die Oliven.

Er sagt: Nein, nicht mit der Gabel heraus holen! Ich mache das selbst.

Ich frage: Sicher?

Er: Klar! Gib einfach die ganze Schale her. Ich nehme mir welche heraus.

Ich: Aber nur drei Stück!

Wir Eltern sind uns einig. Diese ollen kleinen Dinger sind nämlich sportlich eingelegt. Sie machen Durst, es ist quasi unheimlich. Und was exzessives Trinken für die allgemeine Nachtruhe bedeuten kann — man macht sich keine Vorstellungen.

OK. – sagt der Sohn. Und fängt an zu zählen: eins, zwei, drei, vier.

Vier sind nicht drei. Clever gedacht. Stimmt trotzdem nicht. Also korrigiere ich den Missstand umgehend mit der Gabel in der Hand. Wirklich lecker, diese Oliven.

Wirklich nur drei? – der Sohn guckt mich fragend an.

Drei! – sage ich knapp. Mit vollem Mund soll man bekanntlich nicht so viel reden.

Na gut. – sagt er etwas kleinlaut. Es ist schön zu sehen, wie er trotz innerem Kampf und Widerstand die argumentative Kraft der Eltern respektiert. Auch wenn sein Verlangen nach mehr schreit: er versteht, dass es Grenzen gibt, Grenzen geben muss. Wofür hat man schließlich Eltern, wenn nicht dafür, dass sie auch in schwierigen Situationen souverän die richtige Entscheidung treffen können? Eltern sind der Fels in der Brandung. Auf ihre Meinung ist Verlass. Wenn sie etwas sagen, kann man das einfach so hinnehmen und sich sicher sein, dass es das Beste für einen ist.

Man sieht dem Sohn an, dass er verstanden hat. Es arbeitet nur kurz in ihm, aber dann guckt er vollkommen entspannt. Alles ist gut und soll so sein. Und er sagt noch ganz ruhig, mehr zu sich selbst als zu uns: Und immer, wenn ich eine gegessen habe, kann ich mir wieder eine neue nehmen, damit es drei Stück sind.

Die Reste müssen weg. Er hat ja recht.