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charmeur erziehung moderner mann

Laute Worte, leise Gesten

Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir festgestellt, dass die Tochter eine recht effiziente Form der Kommunikation gefunden hat. Diese lässt sich damit zusammenfassen, dass sie sich hauptsächlich darauf konzentriert, uns Eltern mitzuteilen, wenn sie etwas gern haben möchte. Und das macht sie schlicht dadurch, dass sie auf die gewünschte Ware zeigt und in einer klaren Form des Imperativs dazu ihren Namen brüllt.

Damit ist sie offenbar so zufrieden, dass sie nichts grundlegendes daran geändert hat. Wortwahl und Befehlsform sind geblieben. Die Inszenierung hat sie noch ein wenig perfektioniert. Man lernt schließlich ständig dazu. Auch in jungen Jahren schon. So brüllt sie nicht mehr einfach beliebig los, sondern wartet meist ab, bis entweder sie oder die von ihr gewünschte Ware die klar erkennbare Aufmerksamkeit von jemandem hat, der ihr das Objekt der Wahl anreichen kann. Und dass das Ganze sich natürlich bevorzugt beim Essen abspielt, verwundert jetzt nicht wirklich, oder? Essen sehen, Essen haben wollen, auf Essen zeigen, eigenen Namen brüllen, hysterisch werden: alles eins.

Hilft aber natürlich alles nicht. Was es für das Kleinkind zu essen gibt, bestimmen immer noch die Eltern. Auch als moderner Mann von heute bleibe ich da mit standhaft. Die Erziehung folgt schließlich festen Prinzipien. Da kann nicht einfach der Nachwuchs beliebig herumbrüllen und wer am lautesten ist, gewinnt dann etwas. So funktioniert das hier nicht. Wenn ich einmal Nein! sage, dann gilt das auch.

Was natürlich auch die Tochter versteht. Sie ist schließlich ein kluges Kind. Also wird sie langsam ruhiger. Der Imperativ bekommt eine Pause. Sie schielt die Leckereien auf dem Tisch nur noch leicht verstohlen aus dem Augenwinkel heraus an. Ganz so, als würde sie sich eigentlich gar nicht mehr für diese interessieren und nur noch gelegentlich darauf achten, dass alles noch dort ist, wo es hingehört und nicht etwa von einem der Fressa des großen Bruders verschlungen.

Nachdem sie festgestellt hat, dass zwar alles leider weiterhin außer Reichweite, aber doch korrekt an Ort und Stelle liegt, nimmt sie es wohl schlussendlich einfach hin. Die Anspannung weicht aus ihrem Körper, sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, winkelt ein Bein leicht an, sitzt somit etwas schräg, aber ganz entspannt, legt ihre Hände in den Schoß, dreht den Kopf zu mir, guckt mich ganz ruhig an, schließt kurz ihre Augen und schlägt sie gleich wieder auf, ein leichtes Lächeln zieht in ihr Gesicht.

Und jetzt mal unter uns: Wenn die Tochter Hunger hat, muss man ihr doch etwas geben, oder? Was kann denn das arme Mädchen dafür, dass wir den Tisch so ungünstig gedeckt haben, dass sie nirgends selbst heran kommt? Also wirklich.

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sprachentwicklung

Wer nicht fragt, bleibt dumm.

Der Sohn und ich, wir unterhalten uns.

Sohn: Du, Papa, da stehen Schuhe.
ich: Das stimmt, mein Sohn. Es sind die Schuhe von der Nachbarin.
Sohn: Warum?

Sohn: Papa?
ich: Ja, mein Sohn?!
Sohn: Mama soll auch noch etwas essen!
ich: Nun, ich glaube, die Mama ist schon fertig und hat ausreichend gegessen.
Sohn: Warum?

ich: Sohn, möchtest Du lieber Treppe laufen oder Fahrstuhl fahren?
Sohn: Treppe!
ich: OK, dann laufen wir.
Sohn: Warum?

Sohn: Bagger!
ich: Ja, das ist wirklich ein wunderschöner Bagger.
Sohn: Bagger soll fahren!
ich: Der Bagger hat für heute schon Feierabend.
Sohn: Warum?

ich: Sohn, wollen wir beide die Schuhe putzen?
Sohn: Ja, Schuhe putzen.
ich: Fein, bringst Du dann bitte Deine Schuhe auch mit?
Sohn: Warum?

Irgendwie habe ich damit erst im nächsten Jahr gerechnet. Aber die Zeiten ändern sich. Im nächsten Jahr bin ich dann wohl schon damit beschäftigt, ihm die Idee auszureden, spontan ausziehen zu wollen.

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moderner mann spielen

Milchtisch

Mit Tischsitten hat’s der kleine Mann. Das ist soweit weder neu noch überrascht es. Der Sohn hat einen ganz natürlich wirkenden, souveränen Umgang mit allem, was Essen, Trinken und das jeweils zugehörige Werkzeug anbelangt. Trotzdem kann gelegentlich ein kleines Malheur passieren. Als moderner Mann von heute lasse ich mich davon klarerweise wenig beeindrucken. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern was man daraus macht. Soviel habe ich mittlerweile vom Nachwuchs gelernt.

Was macht man also, wenn beispielsweise die Milchtasse des Sohnes einfach umkippt obwohl sie noch gar nicht leer war? Richtig: man bleibt ganz gelassen, guckt sich den wachsenden Milchsee in Ruhe an, wechselt einen Blick mit dem Sohn, nickt kurz und textet dazu:

Mit Milch auf dem Tisch wird der Tisch zum Milchtisch.

Klingt wie ein Zungenbrecher? Ist gar keiner! Es geht ganz einfach von den Lippen. Das kann jeder am Tisch. Ausprobieren! Man kann es sogar singen. Melodie? Dazu sagt der Sohn nur: Hast Du keine, such Dir eine! Eingängig sollte es sein. Und ein gekonnt intonierter Sprechgesang geht auch. Als Höhepunkt sorgt ein ganze-Familie-Kanon garantiert für großartige Stimmung bei Tisch.

Überraschend ist es, dass am Ende natürlich trotzdem irgendjemand die Sauerei wieder sauber machen muss.

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aus dem regal

Aus dem Regal

Monsieur, der Hummer und ich von Stevan Paul

Eigentlich kennt man Stevan Paul gar nicht. Man kennt vielleicht Herrn Paulsen. Der hatte mal ein tolles Blog und er hatte auch mal eine tolle Lesereihe, wenn man so etwas wie eine Lesereihe denn überhaupt haben kann.

Jetzt hat Herr Paulsen ein neues Blog und mit Monsieur, der Hummer und ich ein Buch auf dem Markt. Beides, Blog und Buch, erzählen Geschichten vom Essen, rund ums Essen, zum Kochen, vom Erleben, aus der Küche, von unterwegs. Im Buch gibt es sogar Rezepte.

Und im Buch gibt es Überraschungen. Wie zum Beispiel jene, dass in der Gegend, in der ich einmal viele Jahre lang aufgewachsen bin, die Bratwürste Roster hießen.

Ich winkte ihm entschuldigend zu, und als ich an der Reihe war, murmelte ich leise und demütig: »Roster, bitte.«

Gerne hätte ich dem freundlichen Rostergriller präzisere Informationen gegeben, doch erst kurz vor dem Grill, ich spürte schon die Hitze der Kohle, fiel mir auf, dass ich keinen Schimmer hatte, ob es jetzt der oder die Roster heißt, einen oder eine Roster. Das Geschlecht der ostdeutschen Bratwurst, bemerkte ich beschämt, war mir gänzlich unbekannt! So murmelte ich meine Bestellung geschlechtsneutral, der freundliche Grillmeister verstand und reichte mir eine Bratwurst. Sogar mit Senf. Brot schien es auch gerade zu geben, und ich steckte nach dem Bezahlen erstaunt fast meine gesamte Reisekasse wieder ein. Günstig! Direkt am Grill biss ich in die Wurst, heißes Fett spritzte zwischen würzigen, groben Fleischstücken hervor, sogar ganze Senfkörner waren in der Wurst zu entdecken, sie schmeckte pfeffrig scharf, mit dem kräftigen Raucharoma der offenen Glut, der Senf neben der Wurst brannte bis in die Nase hinauf. Herr Kramer lehnte meinen solidarisch angebotenen Probier-Bissen ab, es gäbe doch gleich Mittagessen und außerdem heute abend Ärger für mich. War mir Wurst.

Roster. Das wusste ich nicht. Das hätte ich sogar ganz sicher abgestritten. Aber Nachfragen bei anderen Flüchtlingen, die jetzt hier im tiefen Westen stecken, hat ergeben: Es stimmt wohl. Und für mich waren damals Broiler wohl die bessere Mahlzeit.

Heute empfehle ich den Herrn Paulsen, sehr sogar. Lecker, die Texte.

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essen

Der Placebo-Effekt

Halbe Sachen sind nichts für den kleinen Mann. Wenn er etwas neues lernt, dann bleibt er so lange dabei, bis er es in all seinen Schattierungen durchschaut und verinnerlicht hat. Das gilt nicht nur für die rein luxuriösen Hobbys in seinem Leben, sondern auch für die einfachen und essentiellen Dinge. Wie Essen und Trinken.

So gehört zum Trinken zum Beispiel nicht nur, die Flüssigkeitsmassen in sich hinein zu schütten. Das wäre schließlich nur die halbe Sache. Rund wird Trinken erst in Gesellschaft, wenn man die Krüge aneinander stößt, dann jeweils ansetzt, senkrecht nach oben kippt, möglichst auf Ex austrinkt und abschließend einen zufriedenen Erfrischungsseufzer ausstößt.

Mit dem Essen verhält es sich ganz ähnlich, wenn auch weniger interaktiv. Die Speisen sind (hoffentlich) wohl ausgesucht, der kulinarische Genuss wird zelebriert und die Nahrung dabei natürlich nicht einfach nur planlos heruntergeschlungen. Statt dessen setzt sich der Sohn mit seinem Essen auseinander, manchmal nimmt er es auch auseinander, steckt’s dann aber doch in den Mund und kaut vorbildlich darauf herum, bevor er es herunter schluckt. Das macht er nicht für jeden Happen 32 Mal. Aber groben Schätzungen nach doch im Durchschnitt etwa einmal pro Zahn. So soll es sein.

Interessanterweise klappt beides auch ohne wirkliche Nahrungsaufnahme. Selbst wenn der Sohn einmal aus einem leeren Becher trinkt, stößt er mit ihm an, kippt ihn senkrecht nach oben und zelebriert seinen Erfrischungsseufzer. Und auch die Nudel, welche auf dem Weg vom Teller zum Mund einfach vom Löffel gesprungen ist, kaut er durch. Gründlich, einmal pro Zahn. Denn halbe Sachen sind nichts für den kleinen Mann und eine gepflegte Nahrungsaufnahme liegt ihm sehr am Herzen.

Wenn Speis und Trank sich dabei nicht an die Spielregeln halten, ist das ja nicht seine Schuld.