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Von Zampanos, Groupies und Zuständigkeiten

Laut Plan ziehen wir demnächst um. Natürlich weder heute noch morgen. Demnächst halt. Denn das neue Kabuff ist noch nicht fertig, sondern wird erst noch zusammengeschraubt. Es ist somit eine Baustelle. Das hat der Sohn natürlich sehr schnell sehr richtig erkannt und das Gebiet umgehend annektiert.

Mit Baustellen kennt er sich schließlich aus. Davon gibt es ständig mindestens eine auf dem morgendlichen Weg zur Kita. Entsprechend viele Bauarbeiter hat der Sohn auch schon kennen gelernt. Ebenso wie ihre Feinheiten des alltäglichen Miteinanders, wie sie es auf den Baustellen so pflegen. Dieses sensible Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Charaktere ist nicht nur soziologisch spannend sondern ein Quell der Inspiration für den kleinen Heranwachsenden. Da gibt es die fleißigen Wuselmanen, die souveränen Vorarbeiter, die augenscheinlich untätigen Pläneschmieder und die am Rand stehenden Klugscheißer, bei denen niemand so genau weiß, welche Rolle sie eigentlich spielen. Wahrscheinlich gehören sie überhaupt nicht dazu, sondern sind nur zufällig in der Gegend.

Genau so verhält es sich natürlich auch auf unserer Baustelle. Also der Baustelle des Sohnes, versteht sich. Denn es gilt: kaum ist er dort, bringt er sich ein ins Geschehen, zupft seine Arbeitssachen zurecht, und sucht sich nach einigem Überlegen einen Platz am Rande, von dem er einen guten Überblick über das Geschehen hat, ohne groß den anderen im Weg zu stehen. Und dann sagt er an, wo es lang geht und was getan werden muss. Werkzeug, Material, Personal: alles hat er im Griff. Über alles weiß er Bescheid. Alles unterliegt seiner Regie. Oder kurz gesagt: Der Sohn macht einen auf Bauherrenzampano. Das wäre per se vielleicht nicht weiter schlimm und durchaus zu ertragen, wenn die Tochter ihn dabei nicht mit großen Augen anhimmeln und fortwährend mit ihm flirten würde.

Wer erzieht die beiden eigentlich?


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Wir sind gleich wieder da

Baustelle Numero drei

Der Sohn und ich: wir verlassen das Haus. Mit einem klaren Ziel vor den Augen. Das geht fix. So sind wir gleich wieder zurück. Kaffee und Kuchen locken. Gar kein Problem.

Kaum raus aus der Tür, sind wir uns allerdings uneinig, ob der Weg nun links herum oder rechts herum die bessere Wahl ist. Rechts herum ist natürlich viel besser: es ist etwas kürzer, es ist ruhiger, weniger Leute, weniger Verkehr, weniger Schaufenster; weniger ist halt mehr. Das weiß man doch und ich sag’s auch so dem Sohn.

Wir gehen links herum. Und stellen prompt fest, dass die furchtbar chic gestaltete Baustelle vor dem Haus nebenan abgebaut ist. Fertig der Bau. Aus. Vorbei. Kein Gerüst mehr, keine Bagger. Der Sohn bleibt stehen, guckt sich das Bauergebnis eine Weile an und schüttelt nur den Kopf; ganz so, als hätte es solchen Unfug zu seiner Zeit noch nicht gegeben. Wo kommen wir nur hin? – Er fragt’s nicht, aber man sieht’s ihm an. Sittenverfall – es steht ihm auf die Stirn geschrieben.

Immerhin: gegenüber parkt gerade ein Lieferwagen. Auch gut, gucken wir eben diesem zu. Der Sohn zieht mich kurz auf die andere Straßenseite, lehnt sich locker gegen einen Verkehrsschildpfosten (Halteverbot!), vergräbt seine Hände tief in den Hosentaschen und nickt kurz dem Lieferantenwagenfahrer zu, welcher sich gerade schwungvoll einen dicken, fetten, nagelneuen Kebabspieß auf die Schulter lädt. Der Lieferantenwagenfahrer geht davon, der Sohn bleibt stehen, ich mach’s mir besser mal auf der anderen Seite des Verkehrsschildpfostens bequem. Dauert auch nicht lange und Kebapspieß Numero zwei liegt auf der Schulter und wandert davon. Insgesamt werden’s vier Spieße und beim dritten sieht man genau, wie der Lieferantenwagenfahrer ernsthaft überlegt, die letzten beiden Spieße gleichzeitig zu schultern, um beim Sohn eine respektierend gehobene Augenbraue zu provozieren. Er lässt’s dann doch besser sein und wir ziehen weiter. Um uns nur zehn Meter weiter beim Schaufenster des Kiezkinos vor ein Werbeplakat zu stellen. Und zwar genau so, wie es das Päärchen neben uns macht. Die beiden fangen kurz darauf an zu knutschen, dem Sohn wird’s zu bunt, weiter geht’s.

Die nächste Baustelle gibt’s zum Glück noch. Ist auch angemessen größer als die gerade geschlossene. Gut, das kennen wir alles – denke ich mir. Woraufhin der Sohn breitbeinig vor mir stehenbleibt, die Arme hebt und «Schulter!» brüllt. Auch gut – denke ich mir; geht’s endlich zügiger voran. Nicht vergessen: Kaffee und Kuchen locken. Also Arme nach unten, Sohn gegriffen, Sohn nach oben und los geht’s. Wenn oben nicht jemand bremsen und meinen Kopf in Richtung Baustelle drehen würde. «Bagger!» – sagt der Sohn und fängt an, all sein Baustellenwissen mit mir zu teilen. Ich lass ihn reden und gehe langsam weiter. Sexshop, Bäcker, Schuhladen, Schaufenster mit knapper Damenoberbekleidung: vorbei an allem, fast ohne Kommentar vom Sohn, der unbemerkt vom Beschreiben der Baustelle Numero zwei zur Baustelle Numero drei übergegangen ist.

Wir sind am Ziel. Der Sohn brüllt: «Runter!», greift mir kurz in die Tasche, streckt sich lang nach oben und wirf schwungvoll, aber zielsicher, unseren Ballast durch den schmalen Schlitz. Danach geht’s den gleichen Weg zurück.

Und so dauert der schnelle Gang zum Briefkasten statt der sonst üblichen drei Minuten locker eine ganze Stunde.