Leseprobe: Im Café
Totale Kontrolle. Teil 2.
Krisengespräch
»Wie konnte das passieren? Das hätte nie geschehen dürfen!«
Die Stimme aus der Konferenzanlage klang schroff. Mehr sagte sie nicht. Koslowski ergriff das Wort. Er war der Ranghöchste hier im Raum. Er war der Geschäftsführer. Er hatte zu diesem Treffen geladen, nachdem Fabian Salida einen Unfall hatte und versehentlich in ein falsches Krankenhaus eingeliefert wurde. In ein öffentliches Krankenhaus. Sie hatten ihn natürlich schnellstmöglich dort herausgeholt und unter Kontrolle in ihre eigene Klinik gebracht. Aber kommentarlos zum Tagesgeschäft übergehen konnten sie deswegen nicht.
»Wir haben die Wahl.«, sagte er. »Wir könnten das Experiment abbrechen. Wir können alle Aktivitäten geordnet herunterfahren und an die nächsten übergeben.«
»Niemals!«
Das war Dr. Victoria Bacher. Ihr oblag die Klinikleitung. Es war auch ihr Projekt.
»Wir haben diese Firma nur gegründet, um diesen Mann zu betreuen. Unser einziges Ziel ist es, das Experiment mit ihm eben nicht abzubrechen, sondern es erfolgreich zu Ende zu bringen. Ansonsten sind die anderen am Zuge.«
»Die anderen sind jetzt aber auch nicht gerade eine Konkurrenz für uns«, sagte Dr. René Zöllner.
»In meinen Augen schon.«
»Nein, Victoria, wir dürfen scheitern.«
»Niemals! Das ist keine Option!«
»Doch, ist es. Andere sind vor uns auch schon gescheitert.«
»Und genau darum werden wir das nicht. Wir führen das weiter. Und wir werden mit unserem Experiment Erfolg haben.«
»Victoria!«
»René, wir haben ihn wieder! Wir haben ihn unter unserer Kontrolle.«
»Und hatten ihn zwischendurch verloren.«
»Nichts haben wir verloren. Er war ganz kurz draußen, ja. Mehr aber auch nicht. Er liegt in unserer Klinik. Seine Werte sehen gut aus.«
»Und der Unfall? Und die Frau?«
»Diese Frau? Sie ist unwichtig. Was weiß sie schon? Gar nichts! Entspann Dich, René. Sie kann uns nicht in die Quere kommen. Sie weiß doch noch nicht mal, wo ihr neuer Freund gerade ist.«
»Siehst Du, jetzt sprichst Du auch schon von ihrem Freund.«
Koslowski schritt ein: »Ruhe! Alle beide!« Das war für seine Verhältnisse erstaunlich deutlich.
»Es geht hier nicht um euch beide. Niemand im Raum hat sich etwas vorzuwerfen.«
In diesem Moment hielt er kurz inne und warf einen Blick auf Mike, den Personal Trainer von Salida. Mike hatte seinen Patienten etwas zu sehr an der offenen Leine gelassen, so dass der Unfall überhaupt erst passieren konnte. Dieser Unfall, der alle hochgeschreckt hatte, weil ihnen ihr Proband, ihre wichtigste Person, mit der sie gerade arbeiteten, beinahe abhanden gekommen wäre. Alles wäre dadurch hinfällig geworden. Die ganze Firma hätte dadurch auffliegen können. Aber Mike traf trotzdem keine Schuld. Mike hatte seinen Job getan. Er durfte die Leine zu Salida etwas lockerer lassen. Er musste es sogar tun. Irgendwann war die Zeit dafür gekommen. Und dieses irgendwann war jetzt. Dessen waren sich alle sicher. Was passiert ist, war wohl tatsächlich ein Unfall. Und nur, wenn sie jetzt alle zusammenhielten, konnten sie die Lage wieder in den Griff bekommen. Es war sein Job, Koslowskis Job, dafür zu sorgen.
»Victoria hat recht: Wir haben Salida wieder unter Kontrolle. Die Bedenken von René sind aber auch nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn das ein Unfall war, stört es den bisher recht reibungslosen Ablauf. Es kann sicherlich nicht schaden, wenn wir diese Frau im Auge behalten. Wie heißt sie nochmal?«
Er wusste es ganz genau. Er wusste es nur zu genau. Aber er brauchte die anderen. Er brauchte ihre aktive Mitarbeit. Und bei den streng hierarchischen Strukturen, die ihnen die Organisation vorgab, waren mitdenkende Leute keineswegs immer eine Selbstverständlichkeit. Koslowski war das nur zu klar. Lange genug arbeitete er schon für die Organisation. Delta war nicht seine erste Firma. Es konnte aber seine letzte sein.
»Köstner. Corinna von Köstner«, warf Dr. René Zöllner ein.
»Danke. Übernimmst du das bitte, René?« Koslowski wirkte erleichtert.
In diesem Moment leuchtete die Konferenzanlage kurz auf. Alle schwiegen.
»Wir sind Y!« sagte die Stimme am anderen Ende. »Bei uns laufen alle Fäden zusammen und werden zu einem Strang!«
Die Lampe erlosch. Alle waren noch einen Moment ruhig. Koslowski sackte unmerklich in sich zusammen. Ihm war vollkommen bewusst, was das bedeutete. Und für ihn war es offensichtlich, dass es den anderen im Raum keineswegs so klar war. Sie sahen nur diese Firma und dieses Experiment. Ein Stück weit war er froh darüber. Vor allem für die anderen. Bewahrte es sie doch vor größeren Sorgen.
Er selbst machte sich dafür umso mehr davon.
(Ende der Leseprobe. Zurück zum Buch.)