Kategorien
essen sohn

Etappensieg

Zeit vergeht, das ist ihr Job. Wahrscheinlich muss das so sein. Schlimm nur, dass dabei die Kinder quasi wie nebenbei groß werden. Man guckt einmal nicht hin und zack: krabbeln sie. Laufen, Sprechen, Fahrradfahren: ruck zuck geht das alles. Passt man einmal nicht auf und setzt den Nachwuchs im Auto auf den falschen Sitz, fahren sie mit der Karre einfach davon. Wenn man richtig Pech hat, verstellen sie obendrein auch noch die Musikauswahl im Gefährt. Es ist verrückt.

Wie gesagt: das passiert alles, ohne dass man da viel machen kann. Es passiert eben. Einfach so. En passant. Wenn man Glück hat und gut aufpasst, bekommt man ab und an wenigstens mal etwas davon mit. Vieles aber zieht an einem vorüber. Wirklich wahr: man hat keine Chance. Zeit. Vergehen. Job. Sie wissen schon. Aber wenn Sie wenigstens gelegentlich etwas dagegen unternehmen wollen, kann ich nur eines empfehlen: passen Sie genau auf. Gucken Sie auch bei den kleinen sich bietenden Gelegenheiten mit offenen Augen hin. Wer weiß? Vielleicht erhaschen Sie einen dieser seltenen Momente, in denen der Nachwuchs beim Wachsen kurz innehält und Ihnen einen kleinen Einblick gewährt.

Hier im Haus sind die Mahlzeiten sehr beliebt für solche Momente. Da sitzt beispielsweise der Sohn plötzlich da, schnappt sich ein mehrfach aufgeschnittenes Brötchen und stopft alle Schichten mehrfach so dermaßen mit diversen Belägen voll, dass er das Riesensandwich letztlich kaum noch in den Händen halten kann. Meinem zweifelnden Blick hält er dabei problemlos stand, blinzelt nur kurz, fixiert dann sein Kunstwerk mit großen Augen und beißt herzhaft einmal über die ganze Höhe hinweg hinein. Erfolgreich.

Reden kann er jetzt nicht mehr. Kauen auch nicht. Aber gucken, das geht. Und falls jemand wissen möchte, ob man beim Essen zu neuer Größe gelangen, neue Erfolge feiern und siegessicher gucken kann: ja, man kann.

Ab morgen schneide ich ganze Brote quer auf. Es wäre doch gelacht, wenn ich der Zeit nicht ein Schnippchen schlagen und die nächste Etappe noch ein wenig herauszögern könnte.

Kategorien
essen

Essensarithmetik

Zum Abendessen gibt es Reste. Was weg muss, muss weg. Also kommen die Frischkäse auf den Tisch, die Camemberts, die eingelegten Auberginen, die Salami vom wohl besten Fleischmann des Landes. Alles Reste. Alles angefangen, angeschnitten, irgendwie darin herumgestochert. Immerhin: das Baguette ist frisch und die Melone erst neu aufgeschnitten.

Die Kinder stört’s nicht. Sie langen in vollen Zügen zu. Während die Tochter nur darauf bedacht ist, einfach genug Einzelbestandteile aus den verschiedenen Schälchen vor sich zu haben, um diese angemessen kreativ neu auf dem Tisch arrangieren zu können, ist der Sohn etwas wählerischer. Er geht der Reihe nach vor. Probiert jeweils einzelne Sachen. Und nimmt tatsächlich nicht nur von Käse und Wurst, sondern lässt sich glatt etwas Brot anreichen. Zeichen geschehen. Wunder gleich mit. Man staunt. Und der Sohn ordert die Oliven.

Er sagt: Nein, nicht mit der Gabel heraus holen! Ich mache das selbst.

Ich frage: Sicher?

Er: Klar! Gib einfach die ganze Schale her. Ich nehme mir welche heraus.

Ich: Aber nur drei Stück!

Wir Eltern sind uns einig. Diese ollen kleinen Dinger sind nämlich sportlich eingelegt. Sie machen Durst, es ist quasi unheimlich. Und was exzessives Trinken für die allgemeine Nachtruhe bedeuten kann — man macht sich keine Vorstellungen.

OK. – sagt der Sohn. Und fängt an zu zählen: eins, zwei, drei, vier.

Vier sind nicht drei. Clever gedacht. Stimmt trotzdem nicht. Also korrigiere ich den Missstand umgehend mit der Gabel in der Hand. Wirklich lecker, diese Oliven.

Wirklich nur drei? – der Sohn guckt mich fragend an.

Drei! – sage ich knapp. Mit vollem Mund soll man bekanntlich nicht so viel reden.

Na gut. – sagt er etwas kleinlaut. Es ist schön zu sehen, wie er trotz innerem Kampf und Widerstand die argumentative Kraft der Eltern respektiert. Auch wenn sein Verlangen nach mehr schreit: er versteht, dass es Grenzen gibt, Grenzen geben muss. Wofür hat man schließlich Eltern, wenn nicht dafür, dass sie auch in schwierigen Situationen souverän die richtige Entscheidung treffen können? Eltern sind der Fels in der Brandung. Auf ihre Meinung ist Verlass. Wenn sie etwas sagen, kann man das einfach so hinnehmen und sich sicher sein, dass es das Beste für einen ist.

Man sieht dem Sohn an, dass er verstanden hat. Es arbeitet nur kurz in ihm, aber dann guckt er vollkommen entspannt. Alles ist gut und soll so sein. Und er sagt noch ganz ruhig, mehr zu sich selbst als zu uns: Und immer, wenn ich eine gegessen habe, kann ich mir wieder eine neue nehmen, damit es drei Stück sind.

Die Reste müssen weg. Er hat ja recht.

Kategorien
essen

Divide and Conquer

Wir haben Besuch im Haus. Die Großeltern sind da. Und eines Morgens hat es sogar geklappt, dass alle rechtzeitig wach sind, damit die Sache mit dem gemeinsamen Frühstück wie geplant über die Bühne gehen kann.

Wir sitzen also am Tisch. Der Trog mit den frischen Brötchen macht die Runde. Und natürlich passt der Sohn ganz genau auf, dass sich jeder ein Exemplar der korrekten Sorte nimmt. Ordnung muss sein. Das gilt auch schon früh am Morgen. Vollkorn, Multikorn, Schickimicki-Ecke, helles Weizenbrötchen. Alles da. Von allem wird verteilt.

Als nächstes sagt der Sohn an, wer der Reihe nach sein scharfes Messer zücken darf, um die eigene Backware zu zerschneiden und sie mit einem der diversen Beläge zu versehen. Die Mama darf als erste. Hausrecht und so. Also: Brötchen aufschneiden, Marmelade drauf und: ab damit zum Sohn. Vorkosten. Nein, «Probieren» nennt er das. Während dessen schmiere ich mir mein Weizenweck. Sportlich mit Butter darauf. Der Sohn und ich: wir mögen das so. Also bekommt er seine Hälfte ab, ohne groß Worte darüber verlieren zu müssen. Die Großeltern, Omo und Opo, sind dran. Dürfen die Messer zücken, dürfen ihre Brötchenkunstwerke erstellen und: dürfen natürlich den Sohn jeweils probieren lassen. Er kassiert die Brötchen nur so ein und fühlt sich sichtlich wohl mit seinem morgendlichen Sammelergebnis, welches sich auf seinem Teller türmt.

Wir lassen ihm seinen Spaß, Hauptsache der Teller ist leer bevor wir aufstehen. Also greifen wir jeweils schlicht erneut in den Brötchenkorb und genießen unser Frühstück. Den Sohn stört’s nicht. Er ist versorgt und beschäftigt. Nur gelegentlich fragt er reihum an, um mal von den diversen Brötchen einen Happen ab zu bekommen.

Spannend wird’s erst wieder am Ende des Mahls. Wenn zwar noch Appetit da ist, die Brötchen aber offenbar ganz furchtbar riesig geworden sind. In solchen Momenten tun die Großeltern einfach, was Großeltern tun müssen: sie teilen sich ein Brötchen. Eine schneidet es auf und reicht die Hälfte dem anderen herüber.

«Nein!» – ruft in dem Moment der Sohn mit Nachdruck. «Nein! Von mir nehmen!» und er schnappt sich eines seiner Brötchen, reißt es in zwei Teile und befördert eine Hälfte vehement auf den Teller des Großvaters. «Opo: Essen!»

Danach setzt er sich wieder ganz ruhig hin, isst in Ruhe weiter, trinkt noch einen Schluck seines Milchschaums, guckt kurz in die Runde und sagt beiläufig: «Wir teilen.»

Kategorien
essen

Wilde Kerle

Der Sohn hat einen langen Tag hinter sich. Ist schließlich Brückentag. Da wird aufgestanden wie an ganz normalen Arbeitstagen. Trotzdem kann man als kleiner Mann im Haus nicht einfach zur Arbeit gehen und in Ruhe den ganzen Tag mit den Kolleginnen in der Kita chillen. Nein, da soll man auf einmal zu Hause bleiben. Und so Sachen machen. Baumarkt, Bummeln, Bäume ausreißen. Das schafft alles ganz furchtbar. Und am Abend ist der Tag gelaufen. Sprichwörtlich.

Und nur mit Mühe kann sich der Sohn noch auf seinem Thron zum Abendessen niederlassen. Hätte er nicht selbst mit gekocht, er hätte glatt das Essen einfach Essen sein gelassen und wäre direkt ins Bett gegangen. Aber für die guten Sitten bringt er Opfer und gesellt sich zum familiären Abendmahl. Wohl um leichter wach zu bleiben, bringt er sich auch aktiv mit ein und kümmert sich freiwillig und rührend um die Getränke am Tisch.

Krüge für alle! Bescheiden war gestern. Und eingeschenkt wird auch. Und angestoßen. Und nachgefüllt. Und wieder angestoßen. Und das Essen wird kalt. Und wieder nachfüllen. Und der Sohn kümmert sich selbst um alles. Der Rest der Familie wäre eh zu langsam. «Prost!» – ruft er laut. «Tasse hoch!» – brüllt er hinterher. Und lehrt seine auf ex.

Und wenn niemand am Tisch mehr einen Tropfen herunter bekommt, dann stößt der Sohn noch ein letztes Mal an. Bei diesem letzten Krug musste ich allerdings mit anfassen. Er wäre ihm sonst vor Schwäche aus der Hand geglitten.

Die Jugend von heute. Rock’n’Roll.

Kategorien
essen moderner mann

Politik zum Nachtisch

Man soll nicht nur die Feste feiern, wie sie kommen, sondern auch das Obst dann essen, wenn es frisch ist.

– besonders schlaue Lebensweisheit

Der Sohn hält viel von großen Sprüchen. Und schlauen Lebensweisheiten gegenüber ist er ebenfalls sehr aufgeschlossen. Also sitzt er dort, wo er generell gern sitzt: auf dem hohem Stuhl am Küchentisch. Und brüllt: «Sauer macht lustig!»

Als moderner Mann von heute bin ich natürlich ein Experte im Deuten der Wünsche des jungen Mannes. Hole also die Schälchen aus dem Schrank, fülle sie und stelle sie auf den Tisch.

«Rhabarber, mein Sohn?» – frage ich rhetorisch.

«Mit Eis!»

Auch das. Hauptsache, es schmeckt. Was offenbar der Fall ist, denn die Vorräte schmelzen schnell. Nicht nur beim Eis. Was auch gut so ist, denn Obst soll man bekanntlich essen, wenn es frisch ist. Und ich beschließe mit der Dame des Hauses, die Reste großzügig aufzuteilen. Der Rhabarber muss weg.

«Sohn, möchtest Du auch noch Rhabarber?» – frage ich eher beiläufig.

«Ja. Viel mehr!» Er ist zwar satt, aber zu Opfern bereit. Und erläutert diese gern:

«Obama weg muss!»

Da sag‘ noch mal jemand, die Jugend wäre verdrossen. Politik? Yes, we can! Und verspeisen Euch zum Nachtisch.