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Warum die Jugend von heute mit Autos nichts mehr anfangen kann

Die klassischen Industrien, sie haben es schwer. Ihnen läuft ein wenig der Nachwuchs davon. Man hört es beispielsweise immer wieder: Die Statussymbole der nachwachsenden Generation stehen nicht mehr auf vier Rädern vor der Tür, sie stecken eher mit Touchscreen in der Hosentasche.

Dabei ist die Frage, wann sie ihre Anhänger verlieren. Denn auch ganz kleine Kinder können sich anfänglich durchaus für Autos begeistern. Wir hatten das hier mal. Da muss irgendwann etwas passieren. Auf dem Weg von der Begeisterung erzeugenden Technik hin zum schwergewichtigen Ballast gibt es irgendwo einen Moment, in dem die Stimmung kippt. Und ich bin mir sicher, dass in den Konzernzentralen so mancher Kopf auf der Suche nach diesem Moment raucht. Entwicklungsabteilungen tüfteln an Motoren und ihren Sounds, im Marketing werden Sprüche geklopft und Spots erdacht, die auch vor Kindern nicht halt machen. Man schaue sich hier nur einmal das Video an. Solche Ideen kommen nicht von ungefähr. Da steckt viel Aufwand drin. Und doch scheint alles für die Katz. Und doch lockt man mit dem nächsten dicken Karren kaum noch einen Halbstarken von der Tankstelle weg. Es scheint kompliziert.

Aber der Schein trügt. Es sind ganz einfache Dinge, die dem Nachwuchs nicht einleuchten. Es sind die kleinen Sachen, die ihm zeigen, dass sein bisheriger Glaube an die großen, unfehlbaren Gefährte ein Irrglaube ist. Es sind die kleinen Add-ons, welche auch kein Hersteller selbst baut, die sie sich alle fertig zuliefern lassen; Standardware vom Band, sozusagen. Aber es bleibt das Gesamtbild, das zählt. So war der Sohn des Hauses zum Beispiel durchaus noch beeindruckt, als uns das häusliche Gefährt im letzten Jahr korrekt zum dänischen Ferienhaus und wieder zurück nach Hause gebracht hat. Als er aber seine Kumpel im Vorort besuchen wollte, da war die Welt auf einmal nicht mehr in Ordnung. Noch Tage später, ach was: Wochen sind es, stellt er lapidar fest: “Dieses Navi im Auto, Papa, das kann nichts! In Dänemark kennt es sich ja ganz gut aus. Aber den Waldspielplatz in Spöck, den kennt’s nicht”, sagt der Sohn. “Echt schwach, was?”

Aber wirklich. Und liebe Hersteller: Es sind die kleinen Dinge, die zählen, nicht nur die großen Motoren. Aber die baut Ihr ja auch nicht immer selbst, somit ist’s wohl eh egal.

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Vom Medienwandel in den Augen der Jugend

Sonntage können auch als Familie und mit Kindern im Haus eine sehr lockere Angelegenheit sein. Alle schlafen in Ruhe aus, frühstücken gemeinsam in vollkommener Ruhe und planen die Entspannungen für den Tag. Im Schwung dieser ausgeglichenen Harmonie wird der Papa gelegentlich in den Wald entlassen. Einfach mal einen lockeren Spaziergang machen. Das tut gut. Das beruhigt die Seele. Das kann ich übrigens nur empfehlen. Nicht empfehlen kann ich, bei so einem Rundgang nonchalant auszurutschen, auch nicht auf wundervoll und ansehnlich drapiertem Herbstlaub, auch nicht, dabei kurz mit dem Fuß herzhaft umzuknicken, um anschließend wenig elegant zurück ins warme Wohnzimmer zu humpeln. Falls das doch mal passieren sollte, kann man sich dort immerhin angemessen für diese eigenen sportlichen Höchstleistungen und seine quasi unendliche Schmerztoleranz bewundern lassen. Das Leben als Familienvorsteher: es ist schließlich kein Leichtes. Da braucht es auch mal ein wenig positives Feedback. Aber was ist? Die Kinder sind gar nicht da. Alle weg.

Sie sind bei einem Freund in der Nachbarschaft. Sie erzählen nachher, was sie dort so treiben. Nämlich genau das, was der Freund am Sonntag um diese Zeit wohl des öfteren so treibt: sie gucken die neue Sendung. Das ist natürlich die Sendung mit der Maus, ganz klar. Bildungsprogramm also. Da lernt man richtig was. Und zum Glück tut Papas Fuß auch eine Stunde später noch weh. Mit dem Bewundern, Anhimmeln und Trösten klappt es leider trotzdem nicht. Denn der Sohn erzählt erst einmal ganz aufgeregt, dass sie zwar eine Sendung geguckt haben, das aber auf gar keinen Fall die aktuelle Folge war. Sie kam nämlich gar nicht im Computer, wie das zu Hause immer der Fall ist. Statt dessen mussten sie beim Kumpel die Maus mit so einem Fernseher gucken. Sehr suspekt. Das kann nur etwas Altes gewesen sein, eine Folge aus dem Archiv.

Wir werten diese natürlich trotzdem aus, reden darüber und bekommen irgendwann sogar die Kurve zu meinem dramatisch schmerzbelasteten Fuß. Das wird auch Zeit. Manchmal ist es wirklich nicht leicht, sich die angemessene Aufmerksamkeit und Wertschätzung in der Familie zu sichern.

Wenig später, es können nur Tage vergangen sein, sitzen wir im Auto. Das Radio läuft. Ausnahmsweise. Zu ertragen ist das nämlich nicht. Ich zappe entsprechend rege durch die Programme. Nur kurz vermögen es die meisten Sender, meinem über der Sendersuchlauftaste zuckenden Finger etwas entgegen zu setzen. Der Sohn schafft es trotzdem immer wieder verlässlich, sich zumindest einen kurzen Kommentar zu den jeweiligen Stücken abzuringen. Eines klingt wie Pippi Langstrumpf, eines wie Wickie und seine starken Männer und bei einem meint er nur ganz trocken: “jetzt wird’s ganz verrückt und klingt wie Ritter Rost.”

Ich schalte das Gerät lieber aus und wir unterhalten uns einfach gegenseitig. Bis der Sohn plötzlich feststellt, dass ich wie ein Pirat aussehe. Ich mache mir Sorgen, runzle mit der Stirn und frage dezent nach, ob er sich da nicht vertan hat. Später möchte ich noch ins Büro. Wer weiß, ob Piraten da wirklich als akzeptables Personal durchgehen. “Doch”, sagt der Sohn, “Papa, wie ein Pirat. Das sagt mein Freund in der Kita auch. Und er kennt sich mit Piraten aus. Wirklich. Er hat nämlich so ein ganz tolles Piratenbuch.” Ich nehme das für den Moment einfach mal so hin.

Und wir halten zusammenfassend fest: Fernsehen ist eine veraltete Technologie, die man gar nicht wirklich ernst nehmen kann. Das Radio bietet einen Katzenjammer gegen den sogar die MP3-Sammlung von mir Gold wert ist. Und wahres Wissen kommt aus Büchern.

Der Medienwandel in den Augen der Jugend: Er sieht ganz anders aus als wir uns das vielleicht so vorstellen. Sorgen mache ich mir jedoch keine, nichtmal an entspannten Sonntagen.

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Chefsache

Bei vielen Leuten ist es tatsächlich so, dass sich mit dem Einzug von Kindern im Haus die Frage nach der allgemeinen Lebensgestaltung neu stellt. So ein klein wenig zumindest. Bei manchen wird’s dabei schnell esoterisch oder zumindest abstrakt-theoretisch. Sie verlieren sich dann schnell in Debatten über eine ausgeglichene Work-Life-Balance, wobei nicht immer klar erkennbar ist, was genau dieses Work, das Life oder gar die Balance zwischen den Beiden eigentlich sein soll.

Bei anderen wird die Sache hingegen etwas konkreter. Sie erörtern nicht die platonische Idee der umfassenden Lösung auf Alles und Jedes sondern überdenken ganz schlicht ihre Karrierepläne neu. Das bedeutet dann keineswegs, dass jemand, der Kinder bekommt, zwangsweise seine Karriere in den Wind schreibt. Um Himmelswillen. Vielmehr geht um die Frage, was das eigentlich ist: Karriere. Es geht darum, was man so macht, am Ende dieser Karriere, also nachdem man anständig befördert wurde. Ich stelle die Frage ruhig mal ganz profan in den Raum: Was macht eigentlich ein Chef?

Na? Eben. So ganz einfach fällt die Antwort den meisten von uns gar nicht. Dabei beobachten oder sind wir es fast jeden Tag. So schwer kann das doch wirklich nicht sein. Jetzt darf jeder bitte einmal ein wenig Abstand nehmen und überlegen, was es heißt, ein Chef zu sein.

Eltern sind bei dieser Frage natürlich mal wieder klar im Vorteil. Sie können einfach ihre Kinder fragen. Diese sind für gewöhnlich nämlich erstaunlich gut darin, einfache Fragen aus der gebührenden Distanz zu betrachten und klare Antworten zu geben. Wie zum Beispiel der Sohn hier im Haus. Er saß kürzlich auf dem Balkon, ließ seine Beine frei in der Abendluft schaukeln und die Augen über einen weitläufig leeren Firmenparkplatz schweifen. Ein einsames Auto stand dort herum. Der Nachwuchs meint: “Guck mal, Papa. Der Chef ist noch auf der Arbeit. Dort steht sein Auto.”

Mit Autos kennt er sich aus, der Sohn. Ich frage nur ergänzend nach: “Und warum meinst Du, dass ausgerechnet der Chef noch da ist?”

Der Sohn guckt mich nichtmal an, so banal scheint ihm die Rückfrage zu sein. Er baumelt weiter mit seinen Beinen und sagt: “Na, der Chef geht immer als Letzter. Er muss doch alles noch aufräumen.“

Das klingt plausibel. Und allen Jungeltern sei verraten: Die Fähigkeit, hinter anderen alles wieder aufzuräumen ist definitiv hilfreich für ein Leben mit Kindern im Haus.

Also nur zu und Mut zur Karriere.

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Unter Kontrolle

Früher, also vor langer Zeit, als der Sohn noch ganz klein war und gerade mal frisch Laufen konnte, stand er glatt eines Abends in der Küche, guckte noch recht schlaftrunken, schaute sich trotzdem ganz in Ruhe um und fragte dann ungläubig: Papa, wer ist dieser Mann?

Wir hatten wohl Besuch. Kommt in den besten Familien vor. Und legt man sich Nachwuchs zu, steht im Kleingedruckten nirgends, dass man diesem auf einmal über alles sofort Rechenschaft schuldig ist und Männerbesuch erst mal angekündigt gehört. So plump diese Frage also war, so plump habe ich ihn geschnappt und in sein Bett zurück getragen. Das Thema war damit abgehakt. Dachte ich.

Denn der Sohn hat natürlich dazu gelernt.

Heutzutage steht er nicht mehr einfach so am späteren Abend irgendwo in der Gegend herum. Dazu müsste er schließlich aufstehen. Und wer weiß schon, ob sich das lohnt? Eben. Darum gewährt der kleine Herr jetzt Audienzen. Er bittet die Erziehungsberechtigten großzügig zu sich. Ganz dezent, versteht sich. Nur, wenn diese einfach nicht hören wollen, wird er dabei laut. Ist das Personal irgendwann endlich vor Ort, darf es dann gern behilflich sein.

Er sagt: Muss Pipi!

Er meint: Es könnte sein, dass ich auf die Toilette muss. Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht. Auf jeden Fall bin ich wach und Du kannst mich jetzt bitte ganz vorsichtig aus dem Bett heben. Bitte so, dass meine Füße dabei nicht den Boden berühren. Der könnte schließlich kalt sein. Idealerweise trägst Du mich dann vorsichtig ins Bad. Ich kann auch selbst laufen. Aber was, wenn ich dann krank werde? Trag‘ mich mal lieber. Und halte Deinen Kopf nicht wieder vor meine Augen. Der stört mich da. Und wenn die ganze Aktion sinnlos war, bringst Du mich wieder zurück. Vorsichtig, ja? Schließlich schlafe ich streng genommen ja noch. Kannst mich aber trotzdem hinlegen. Und zudecken, bitte!

So in etwa läuft das dann auch. Die Hierarchien in der Familie sind klar. Da muss man nicht immer lange fragen, wer jetzt eigentlich was zu sagen hat. Es ist letztlich ganz klar. Da machen wir uns mal nichts vor. Zumindest so lange nicht, wie die Tochter noch zu klein für grammatikalisch vollständige Imperativsätze ist.

Wenn der Sohn wieder im Bett liegt und man sich so denkt, dass damit endlich wieder Ruhe einkehrt, fragt er noch ganz beiläufig: Papa, wer sitzt da in der Küche?

Ich antworte: Wir haben Besuch.

Er: Und Ihr esst noch etwas? Nach dem Abendbrot?

Ich: Ja. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so!

Er: Und was esst Ihr da? Brot?

Ich: Ja, genau. Brot, passt gut zum Wein.

Er: Und wozu braucht Ihr da Gabeln?

Die hat er nämlich klimpern gehört, der Sohn. Genau jener Sohn, über den wir noch kurz vorher dem Besuch ganz glaubhaft erzählt haben, dass er jeden Tag pünktlich ins Bett geht, problemlos einschläft und garantiert erst am Morgen wieder wach wird. Dieser durchschlafende Sohn ist im Moment jedoch sogar noch munter genug, um leise zu sagen: Durch das Schlüsselloch habe ich schon geguckt. Aber da sieht man ja fast gar nichts! Das ist schade, stimmt’s?

Dann fallen ihm aber doch die Augen zu und er fängt leise an zu schnarchen. Im Traum entwirft er bestimmt schon mal eine Überwachungsanlage mit Videokameras an allen Ecken. So kann das hier schließlich nicht weitergehen.

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Wir bremsen

Wer meint, dass Autos aus den Städten verbannt gehören, hat natürlich vollkommen recht. Wer allerdings aus der Blechschubserei das Maximum heraus holen möchte, sollte sie nutzen, um seine Kinder in die Kita zu bringen. Dabei kann man nämlich schon am frühen Morgen Sachen vom Nachwuchs lernen, die einen locker über den Rest des Tages bringen.

So hat neulich die Lektion zur Verkehrsästhetik die Augen für die — ähh — schönen Dinge geöffnet. Ästhetik ist aber nicht alles. Als reiner Schöngeist kommt man schließlich nicht durchs Leben. Da gibt’s noch mehr Qualifikationen, die essenziell sind, um sich souverän durch den Alltag bewegen zu können. Das Auskommen mit anderen Menschen zum Beispiel. Toleranz ist hier gefragt. Verständnis. Empathie. Die Welt ist geprägt von Teamwork. Das Zeitalter der grandiosen Autisten ist vorbei. Da ist es wichtig, dass man klar kommt mit den anderen; dass man einen Weg des kooperativen Miteinanders findet.

Wir fahren also zur Kita. Die Kinder sitzen hinten im Auto und kommentieren den aktuellen Soundtrack. Ich sitze vorn und konzentriere mich auf den Verkehr. Wir wollen schließlich heile ankommen. Dafür gebe ich alles. Ich fahre ruhig, ich fahre ausgeglichen, wir gleiten sozusagen elegant durch die Stadt. Bis sich an einer Kreuzung der Sohn von hinten zu Wort meldet: Papa?

Ich: Ja, mein Sohn?

Sohn: Warum hast Du gerade gebremst?

Ich: Ähh, weil ich den Radfahrer dort vorn vorbei gelassen habe.

Er sagt darauf nichts. Die Antwort scheint ihm zu reichen. Wir sind hier im Straßenverkehr schließlich ein Team. Hier geht es nicht darum, wer größer oder schneller ist. Hier geht es darum, miteinander auszukommen. Hier zählt es, dass alle ein harmonisches Ganzes ergeben. Das spart Agressionen, das spart Unfälle, das sorgt für mehr Frieden in der Welt. Es ist doch so, da machen wir uns mal nichts vor: Der Weltfrieden fängt vor der eigenen Haustür an. Ich bin froh, dass auch der Sohn das schon verinnerlicht hat. Er denkt sogar noch ein wenig darüber nach. Man kann sein Denken in der plötzlich eingetretenen Stille geradezu fühlen. Und schlussendlich sagt er auch wieder etwas, wenn auch mehr zu sich selbst als zu den anderen im Wagen, ganz leise und beiläufig kommt es aus ihm heraus:

Aha. Wir bremsen also auch für Radfahrer.