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Aus dem Regal

Zwei, drei, vier: Wie ich eine Familie wurde von Maximilian Buddenbohm

Zwei, drei, vier - wie ich eine Familie wurde Es soll ja Leute geben, die schreiben nicht nur in das Internet, sondern auch zwischen zwei Buchdeckel. Erst kürzlich hatten wir so ein Exemplar. Jetzt ist sein Nachbar dran: der Herr hinter den Herzdamengeschichten. Welcher übrigens nicht im mairisch verlag veröffentlicht, wie man naiv annehmen könnte, sondern in dem Haus, dem auch der Papst seine Texte anvertraut. Was soll da also schief gehen?

Nichts natürlich. Denn Herr Buddenbohm hat getan, was ein Herr Buddenbohm tun muss: Er hat ganz wunderbare Texte aus seinem Blog genommen und aus ihnen einen Remix erstellt, der druckbar und furchtbar unterhaltsam ist. Wie zum Beispiel dieser krönende Abschluss eines intensiven Hochzeitsvorbereitungstrainings:

Tatsächlich habe ich es dann nach der Hochzeitszeremonie wirklich geschafft, die Braut über die Schwelle zu tragen und in dieser romantischen Pose ein klein wenig zu verharren, damit die Fotografen ordentlich draufhalten konnten.

Und hätte ich rechtzeitig gemerkt, daß auch gefilmt wurde, mit Tonaufnahmen sogar, dann hätte ich gewiß darauf verzichtet, den Fotografen jenen humorigen Satz zuzuzischen, den mir die Familie der Braut mit einem gewissen Recht heute noch übel nimmt: „Macht schnell, das Biest ist schwer.“

Wie man leicht sieht, macht dieser Schinken Lust auf Familie. Und für alle, die noch keine haben, empfehle ich: Nehmen Sie das Buch. Und ihre Partnerin. Und dann ab ins Bett.

Zum Vorlesen, versteht sich.

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Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich von David Foster Wallace, aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay

Was macht man eigentlich im Urlaub? Verreisen? Ein Buch lesen? Warum nicht mal ein Buch über das Verreisen lesen? Dieses hier von David Foster Wallace zum Beispiel.

Darin geht’s um eine Kreuzfahrt. Und ihre Reize. Und Überreize. Und Feinheiten. Und Details. Wie diese hier bei der Beschreibung des stillen Örtchens der Kajüte an Bord:

Sie haben übrigens richtig gehört: ein Unterdruck-Lokus. Aber wie schon bei der Lüftungsanlage in der Decke handelt es sich nicht um irgendwelchen Kinderkram, sondern sozusagen um die Vollversion, die große Lösung. Schon die Spülung verursacht ein kurzes, aber traumatisierendes Geräusch, ein Gurgeln in Höhe des dreigestrichenen C, wie ein gastrischer Tumult in kosmischem Maßstab, begleitet von knatternden Sauglauten, die Angst einflößend und tröstlich zugleich sind. Die eigenen Rückstände werden, so wird einem vermittelt, nicht einfach nur entfernt, sondern geadezu hinwegkatapultiert, und das so vehement, dass sie buchstäblich wesenlos werden … Schon beinahe eine existenzielle Entsorgungsmethode.

Am Absatz hängt abschließend noch ein Paar von gleich zwei Fußnoten, eine davon umfasst auch mehr als eine Seite. Sie weist auch eine weitere Spezialität des Romans auf: die Fußnote in der Fußnote. Sieht man ja auch nicht jeden Tag. Das ist aber noch nicht alles an Fußnotenbesonderheiten. Zwei weitere gibt es: die in Klammern eingeschlossene Anmerkung im Fließtext, ganz ohne Fußnote, und die Fußnote, welche komplett nur aus einer in Klammern eingeschlossenen Anmerkung besteht.

Das kann doch kein Mensch lesen? Könnte man meinen, vor allem nach all dem unendlichen Spaß, der im letzten Jahr um die Jahrhundertübersetzung von Wallace‘ Hauptwerk gemacht wurde. Es stimmt aber gar nicht. Es geht. Dieses Buch hier ist lesbar. Sehr gut sogar. Und sehr unterhaltsam. Und so anschaulich, dass man sich den Unterhaltungswert einer Kreuzfahrt zwar gut vorstellen kann, ihn aber schon in der Gegenwart problemlos den anderen überlassen kann. Urlaub hin oder her.

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Delfinarium von Michael Weins

Cover Delfinarium von Michael Weins Es ist mal wieder ein Buch aus dem mairisch-Verlag. Das ist ja fast schon ein Qualitätsmerkmal per se. Selbst wenn es diesmal nur um einen spätpubertierenden Jüngling geht, der auf der Suche nach sich selbst fast seine Freundin verschleißt und nonchalant die verheiratete Frau eines anderen, nein: zweier anderen, entführt.

Das reicht auch schon so grob zum Inhalt. In dessen Verlauf sich schleichend ein Verdacht bezüglich des Zusammenspiels der diversen Charaktere einschleicht. Denn so recht geht’s offenbar nicht auf, das Verhältnis. Vor allem jenes zwischen der entführten Frau und ihren Männern. Aber der Verdacht verliert sich im Verlauf der Seiten wieder. Alle Personen scheint es wirklich zu geben. Personen, wohlgemerkt.

Und für alle, die etwas Spielverderberei vorab tolerieren können, hier ein Auszug aus dem eher hinteren Teil des Buches:

Und ich bin sicher, dass es sich um die Stimme von Susann und Marie handelt, die identische Stimme. Und Susann schaut mir geradewegs in die Augen, sie sagt: »Danke, Martin.«

Und ich flüstere: »Daniel.«

Sie lächelt und wiederholt: »Martin.«

Und ich lächle ebenfalls und sage: »Meinetwegen.«

Und sie sagt: »Danke.«

Und dann lächeln wir beide.

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Ich schlage vor, dass wir uns küssen von Rayk Wieland

Cover zu Ich schlage vor, dass wir uns küssen Streng genommen ist die DDR als Romanthema stinkelangweilig. Aber nach der Sache mit dem Roster kürzlich, musste das jetzt trotzdem sein: Ein DDR-Buch. Also eines über die DDR, nicht eines aus dieser. Immerhin ist es kein Wenderoman. Spätestens seit Moskauer Eis sollte es davon eh keine neuen mehr geben. Und das erschien schon vor mehreren Jahren.

Hier geht es um einen unterdrückten Untergrunddichter, der eigentlich gar keiner war. Den die Stasi aber für einen solchen hielt, da sie die Gedichte, die er aus der DDR an seine Freundin in München geschickt hat, nicht nur las, sondern auch kommentierte und als Akte sorgfältig aufbewahrte. Zwanzig Jahre nach dem Ende des ganzen Spuks wird der Protagonist mit dieser Sammlung konfrontiert, wundert sich, erinnert sich, zumindest in Teilen, und wir erfahren sogar, was aus der großartigen, Mauer-überwindenden Liebesbeziehung später, also ohne Mauer, geworden ist.

Und wir bekommen die Gedichte. Dieses zum Beispiel:

Äpfel, mit Birnen verglichen

Sie ist eine Birne.
Ein Apfel ist er.
Und ein Vergleich fällt
Durchaus nicht schwer.

Er hängt am Apfel-,
Am Birnenbaum hängt sie.
Vergleichbarer geht’s kaum
In der Obst-Szenerie.

Sie schmeckt es-geht-so,
Er so-es-geht.
Das klingt nicht, als ob kein
Vergleich gehn tun tät.

Gestern mit morgen,
Geld mit Papier,
Frauen mit Männern,
Woanders mit hier.

Verglichen wird vieles,
Was gerade paßt.
Bierdurst mit Sterben,
Knackwurst mit Knast.

Liebe mit Sternstaub
Und Text mit Kompott
Und Schweine mit Alltag
Und Würfeln mit Gott.

Und Krieg mit Familie
Und Ärsche mit Hirnen.
Man kann alles vergleichen,
Auch Äpfel mit Birnen.

Dazu hatte ich beim Lesen gleich einen Ohrwurm im Kopf: die Schweinereime von DJ Koze. Warum, kann ich natürlich nicht sagen.

Buch: Empfehlung? Keine. Aber wer auf der Suche nach nett unterhaltendem groben Unfug ist, wird hier fündig.

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Monsieur, der Hummer und ich von Stevan Paul

Eigentlich kennt man Stevan Paul gar nicht. Man kennt vielleicht Herrn Paulsen. Der hatte mal ein tolles Blog und er hatte auch mal eine tolle Lesereihe, wenn man so etwas wie eine Lesereihe denn überhaupt haben kann.

Jetzt hat Herr Paulsen ein neues Blog und mit Monsieur, der Hummer und ich ein Buch auf dem Markt. Beides, Blog und Buch, erzählen Geschichten vom Essen, rund ums Essen, zum Kochen, vom Erleben, aus der Küche, von unterwegs. Im Buch gibt es sogar Rezepte.

Und im Buch gibt es Überraschungen. Wie zum Beispiel jene, dass in der Gegend, in der ich einmal viele Jahre lang aufgewachsen bin, die Bratwürste Roster hießen.

Ich winkte ihm entschuldigend zu, und als ich an der Reihe war, murmelte ich leise und demütig: »Roster, bitte.«

Gerne hätte ich dem freundlichen Rostergriller präzisere Informationen gegeben, doch erst kurz vor dem Grill, ich spürte schon die Hitze der Kohle, fiel mir auf, dass ich keinen Schimmer hatte, ob es jetzt der oder die Roster heißt, einen oder eine Roster. Das Geschlecht der ostdeutschen Bratwurst, bemerkte ich beschämt, war mir gänzlich unbekannt! So murmelte ich meine Bestellung geschlechtsneutral, der freundliche Grillmeister verstand und reichte mir eine Bratwurst. Sogar mit Senf. Brot schien es auch gerade zu geben, und ich steckte nach dem Bezahlen erstaunt fast meine gesamte Reisekasse wieder ein. Günstig! Direkt am Grill biss ich in die Wurst, heißes Fett spritzte zwischen würzigen, groben Fleischstücken hervor, sogar ganze Senfkörner waren in der Wurst zu entdecken, sie schmeckte pfeffrig scharf, mit dem kräftigen Raucharoma der offenen Glut, der Senf neben der Wurst brannte bis in die Nase hinauf. Herr Kramer lehnte meinen solidarisch angebotenen Probier-Bissen ab, es gäbe doch gleich Mittagessen und außerdem heute abend Ärger für mich. War mir Wurst.

Roster. Das wusste ich nicht. Das hätte ich sogar ganz sicher abgestritten. Aber Nachfragen bei anderen Flüchtlingen, die jetzt hier im tiefen Westen stecken, hat ergeben: Es stimmt wohl. Und für mich waren damals Broiler wohl die bessere Mahlzeit.

Heute empfehle ich den Herrn Paulsen, sehr sogar. Lecker, die Texte.