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Aus dem Regal

Heute: Die Frau, für die ich den Computer erfand von Friedrich Christian Delius

Hier geht’s um Konrad Zuse. Nicht irgendeinen kleinen Erfinderamateuer, nein, es geht um Konrad Zuse. Also um den Mann, der den Computer erfunden hat. Und wie der Titel so schön verrät, geht’s darum, wie er das eigentlich angestellt hat, das mit dem Erfinden des Computers.

Cover des Buches Das verrät er übrigens wirklich. Also nicht nur inhaltlich. Dieser Teil ist mit dem Titel quasi schon verraten. Sondern auch stilistisch. Denn es ist Zuse selbst, der das ganze Buch über redet. In einem Interview, das vom Autor des Buches aufgenommen, niedergeschrieben und wohl auch etwas sortiert worden ist. Und wie das so ist, wenn ein großer Geist in seinen alten Tagen einmal so richtig in Redefluss geraten darf, kommen sehr schöne Anekdoten dabei zum Vorschein. Zum Beispiel diese hier:

Glauben Sie mir, das Erfinden, auch das geht ja nicht ohne Eros. Ohne Eros entwickelt sich nichts im Leben, nicht einmal der Bau von Rechenmaschinen … Wenn Sie stundenlang Kontaktfedern justieren oder das Komma gleiten lassen, dann denken Sie auch mal an gleitende Ausrufungszeichen, verstehen Sie?

Es geht aber gar nicht nur um Frauen und durch niedere Instinkte getriebene Anregungen. Das ist hier schließlich nicht der — ebenfalls hochgradig lesbare — Lebensrückblick von Richard Feynman, sondern eben jener von Konrad Zuse.

Und wenn man sich erst einmal dazu überwunden hat, den Monologstil des Herren zu akzeptieren, ist es ganz großartige Lektüre. Bei der man sogar das eine oder andere Neue lernen kann. Was will man mehr?

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autodidakt sohn

Verkehrsästhetik

Die Erziehung der Kinder ist wohl eine der Aufgaben, die niemals enden wird. Ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung sozusagen. Dabei ist es natürlich keineswegs so, dass man viel vorgeben könnte. Wer zum Beispiel glaubt, dass man einfach mal sagt: Kind, mach‘ bitte dieses und nicht jenes! und dann erwartet, dass das Kind fortan immer dieses und ganz sicher niemals jenes machen würde, irrt natürlich. Gewaltig. Es ist eher so, dass man mal einen Hinweis hier gibt, einen Impuls dort setzt und das perfekte Verhalten einfach vorlebt. Der Nachwuchs beobachtet schließlich alles ganz genau. Da wird er sich schon die richtigen Sachen heraus suchen und durch pures Nachahmen zu einem charmanten Bündel von mustergültigen Schwiegerkindern werden. Oder so.

Hierbei handelt es sich übrigens nicht um einen rein theoretischen Ansatz. Nein, nein. Das Ganze hat sich bereits in der Praxis bewährt und zeigt erste Früchte.

Nehmen wir zum Beispiel den Sinn für das Schöne im Leben. Den gibt’s nicht einfach so, der fällt nicht plötzlich vom Himmel. Er will wohl trainiert und Stück für Stück aufgebaut werden. Da helfen — wie gesagt — vor allem viele dezente Hinweise und ein konsequentes Vorleben. Die Belohnung gibt es quasi ganztägig. Sie fängt morgens im Bad an, wenn der Sohn mit Hilfe diverser Handtücher eine wohlgeordnete Gartenlandschaft mit Wiesen, Beeten und Wegen aufbaut. Es geht natürlich beim Anziehen weiter, wenn nicht jeder beliebige Pullover zur eh falsch vom Papa herausgesuchten Hose passt. Es folgt das Frühstück, bei dem er den Tisch so deckt, dass er alle Behältnisse mit Marmeladen, Honig und Nussnougatcremes in einem akkuraten Halbkreis direkt hinter seinem Teller arrangiert. Es zeigt sich im Kindergarten, wenn er seine Schuhe nicht einfach nur plump nebeneinander abstellt, sondern sie adäquat zu einer kleinen Pyramide aufbaut, die zwar fragil, aber gut anzusehen ist. Und es zeigt sich sogar am Abend, wenn er beim Aufräumen seines Zimmers den ganzen Fuhrpark nicht einfach nur mit Schmackes in die Schublade wirft, sondern dort jedes Auto orgentlich und vorsichtigst so einparkt, dass ein möglichst harmonisches Gesamtbild entsteht.

Nur heute morgen, nach dem Bad, nach dem Anziehen und nach dem Frühstück, da kam er bei der Fahrt in die Kita auf ganz eigene Ideen:

Sohn: Papa, kannst Du da vorn bitte rechts abbiegen?

Ich: Hhm, warum das denn?

Sohn: Das Auto vor uns ist so häßlich. Ich will es nicht mehr sehen!

Und ich muss jetzt nicht extra erwähnen, dass ich zur Ästhetik des uns umgebenden Verkehrs natürlich nie irgendwelche Aussagen gemacht oder Vorgaben erteilt habe. Ja? Gut.

Er ist halt doch ein Autodidakt.

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charmeur erziehung moderner mann

Laute Worte, leise Gesten

Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir festgestellt, dass die Tochter eine recht effiziente Form der Kommunikation gefunden hat. Diese lässt sich damit zusammenfassen, dass sie sich hauptsächlich darauf konzentriert, uns Eltern mitzuteilen, wenn sie etwas gern haben möchte. Und das macht sie schlicht dadurch, dass sie auf die gewünschte Ware zeigt und in einer klaren Form des Imperativs dazu ihren Namen brüllt.

Damit ist sie offenbar so zufrieden, dass sie nichts grundlegendes daran geändert hat. Wortwahl und Befehlsform sind geblieben. Die Inszenierung hat sie noch ein wenig perfektioniert. Man lernt schließlich ständig dazu. Auch in jungen Jahren schon. So brüllt sie nicht mehr einfach beliebig los, sondern wartet meist ab, bis entweder sie oder die von ihr gewünschte Ware die klar erkennbare Aufmerksamkeit von jemandem hat, der ihr das Objekt der Wahl anreichen kann. Und dass das Ganze sich natürlich bevorzugt beim Essen abspielt, verwundert jetzt nicht wirklich, oder? Essen sehen, Essen haben wollen, auf Essen zeigen, eigenen Namen brüllen, hysterisch werden: alles eins.

Hilft aber natürlich alles nicht. Was es für das Kleinkind zu essen gibt, bestimmen immer noch die Eltern. Auch als moderner Mann von heute bleibe ich da mit standhaft. Die Erziehung folgt schließlich festen Prinzipien. Da kann nicht einfach der Nachwuchs beliebig herumbrüllen und wer am lautesten ist, gewinnt dann etwas. So funktioniert das hier nicht. Wenn ich einmal Nein! sage, dann gilt das auch.

Was natürlich auch die Tochter versteht. Sie ist schließlich ein kluges Kind. Also wird sie langsam ruhiger. Der Imperativ bekommt eine Pause. Sie schielt die Leckereien auf dem Tisch nur noch leicht verstohlen aus dem Augenwinkel heraus an. Ganz so, als würde sie sich eigentlich gar nicht mehr für diese interessieren und nur noch gelegentlich darauf achten, dass alles noch dort ist, wo es hingehört und nicht etwa von einem der Fressa des großen Bruders verschlungen.

Nachdem sie festgestellt hat, dass zwar alles leider weiterhin außer Reichweite, aber doch korrekt an Ort und Stelle liegt, nimmt sie es wohl schlussendlich einfach hin. Die Anspannung weicht aus ihrem Körper, sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, winkelt ein Bein leicht an, sitzt somit etwas schräg, aber ganz entspannt, legt ihre Hände in den Schoß, dreht den Kopf zu mir, guckt mich ganz ruhig an, schließt kurz ihre Augen und schlägt sie gleich wieder auf, ein leichtes Lächeln zieht in ihr Gesicht.

Und jetzt mal unter uns: Wenn die Tochter Hunger hat, muss man ihr doch etwas geben, oder? Was kann denn das arme Mädchen dafür, dass wir den Tisch so ungünstig gedeckt haben, dass sie nirgends selbst heran kommt? Also wirklich.

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beobachtungsgabe

Der Fressa

Der gemeine Dreijährige kann es nur schwer akzeptieren, wenn es für irgendwelche Fragen keine plausiblen Antworten gibt. Für gewöhnlich sind es natürlich die Eltern, die entsprechend mit den Fragen traktiert werden und Antworten in vollkommener Präzision zu liefern haben. Manchmal scheint das, was wir Großen da erzählen, aber einfach nicht plausibel genug zu sein. Und manchmal, das gebe ich ganz offen zu, stellen wir kleinere Rückfragen, man weiß schließlich nie, was der Herr Nachwuchs da an versteckten Untertönen mit in seine Frage gelegt hat.

Das ist für den Sohn natürlich nicht akzeptabel. Also muss er selbst ran. Fragen ohne adäquate Antworten: wo gibt’s denn sowas? Eben. Und der Sohn ist gründlich.

Wenn man ihn zum Beispiel früh am Morgen aus dem Bad in sein Zimmer schickt, damit er sich schon mal anzieht, während man die kleine Schwester fertig macht, sitzt er gern 10 Minuten später halbnackt mitten in seinem Zimmer, baut dort riesige Bauklötzchenkunstwerke, denkt aber offenbar nicht im Entferntesten daran, sich auch nur ein klein wenig auf die Füße zu ziehen, geschweige denn auch den Rest der vorgesehenen Kleidung über zu werfen. Sollte man es sich in einem solchen Moment wirklich erlauben, ihn zu fragen, warum er denn bitte noch nicht so wirklich weit mit dem abgesprochenen Anziehen gekommen ist, guckt er nur ungläubig. Dann schüttelt er den Kopf, steckt noch ein Bauklötzchen auf sein Kunstwerk, guckt wieder hoch und sagt: Der Sockenfressa war da! Da kann man nichts machen.

Bringt man ihn dann in den Kindergarten, kann es natürlich auch sein, dass seine Hausschuhe dort nicht 100%ig an ihrem vorgesehen Ort liegen. Papa, wo sind die denn?, fragt er mich und ich antworte ganz ehrlich: Ich weiß es auch nicht, aber lass uns doch mal im Fach nebenan nachgucken. Das ist natürlich grober Unfug und der Sohn zögert nicht lange, mir das auch klar zu sagen: Nein, das brauchen wir nicht. Der Schuhfressa war da!

Abholen vom Kindergarten? Jackenfressa! Zimmer aufräumen? Unnötig, denn: Spielzeugfressa! Abends im Bad? Zahnbürstenfressa! Kuscheltier für die Nacht irgendwo verkramt? Plüschtierfressa!

Es ist wirklich erstaunlich: Am Ende des Tages bleiben keine Fragen mehr offen. Auf alles gab es eine Antwort. Schuldenfrei in den nächsten Tag, das ist derzeit ganz klar das Motto des kleinen Mannes.

Davor kann man nur großen Respekt haben, also staune ich. Und während des Staunens stopfe ich seelenruhig feine Oliven in mich rein. Die liegen hier so rum. Wir hatten heute nämlich Besuch und der hat sich bei den angebotenen Snacks ausreichend vornehm zurück gehalten, so dass etwas Fingerfood übrig geblieben ist. Gut, denke ich mir, der eine kümmert sich um offene Fragen, kümmere ich mich eben um offene Reste. Und da es spät geworden ist, mache ich dicke Backen und hoffe, dass der Sohn schön tief und fest weiter schläft. Man stelle sich vor, er würde jetzt aufwachen. Wie sollte ich ihm da glaubwürdig erklären, dass man mit vollem Mund nicht spricht? Er würde bestimmt gleich sagen: Papa, Sittenfressa!

Nicht auszudenken.

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Aus dem Regal

Heute: Die Untreue der Grönländer von Kim Leine, aus dem Dänischen von Ursel Allenstein

Urlaub haben heißt: Zeit haben. Und was kann man mit Zeit schon sinnvolleres anfangen, als Texte zu lesen? Texte aus Büchern zum Beispiel? Eben. Und so kommt es, dass bei einer Fahrt an die Küste meist ein Marebuch zur Urlaubsbeute gehört.

Dieses Mal also eines über Grönland. Oder besser: Grönländer. Oder genauer: ein Buch über Jesper, der gar kein Grönländer ist, sondern Däne. Aber er steckt in Grönland. Als Krankenpfleger. In einem Dorf im Hinterland. In dem auch noch ein paar andere Leute leben. Alles Grönländer, wie es scheint; wenn auch nicht alle aus der Gegend. Über sie ist das Buch. Denn sie alle erleben recht skurrile Sachen während Jesper bei ihnen in der Siedlung seinen Dienst verrichtet. Sie sind sich natürlich kreuz und quer einander untreu, ganz klar, irgendwo muss ja der Buchtitel herkommen. Sie sind viel krank, zumindest aus Sicht von Jesper. Manchmal sterben sie sogar. Oder sägen sich nur einen Finger ab. Oder kippen die Fäkalien der Siedlung in den Dorfteich. Oder fantasieren wild von der nächstgelegenen Stadt, welche auf der anderen Seite des Fjordes liegt.

All das passiert sehr charmant erzählt, in Kurzgeschichten verpackt, die sicher nicht nur gut zu kleinen Pausen vom Muschelnzählen am Strand passen.

Also schlage ich vor: Machen Sie doch mal Urlaub. Holen Sie sich ein Marebuch, gerne dieses. Und lesen Sie. Es ist ein wenig, als wäre man dort. Und zwar mit warmen Füßen.