Gelesen: Laufen von Isabel Bogdan
Von Señor Rolando
Wer kennt das nicht? Reden wir über laufende Menschen, kommt irgendjemand ganz besonders Schlaues um die Ecke und fragt:
»Wovor laufen die nur weg?«
Als erste Reaktion möchte man dabei schlicht ganz beiläufig mit den Augen rollen, sich umdrehen und die gepflegte Konversation mit anderen fortsetzen. Aber vielleicht ist das ein wenig voreilig. Vielleicht sind die Laufenden unter uns wirklich immer ein wenig auf der Flucht, ob vor sich selbst, dem Stress des Alltags oder auch der allgemeinen Stimmungslage. Kann ja alles sein.
Thematisch dreht es sich bei Laufen von Isabel Bogdan in etwa um diese Frage. Es geht um eine Frau, dessen Mann sich aufgrund seiner Depression das Leben genommen hat und die jetzt das Laufen benutzt, um einen Teil der damit einhergehenden Gemütszustände zu verarbeiten.
Die Standardlaufrunde im Buch ist dabei die wohl bekannteste Laufstrecke des Landes: einmal rum um die Außenalster. Wie chic. Damit kann man sich prima anfreunden. Dort bin ich übrigens auch schon gelaufen und kann das sehr empfehlen, auch wenn es manchmal voll ist. Aber was heißt hier manchmal? Quasi immer. Im Buch lesen wir:
selbst bei Regen um drei Uhr nachts wird immer irgendjemand um die Alster laufen.
Genau so ist es. So habe ich das auch erlebt, irgendwann nachts, ich bin aber gar nicht gelaufen, mit dem Rad war ich unterwegs, kam irgendwo her, wollte nur nach Hause, und dann laufen da welche, haben sich wahrscheinlich sogar entspannt unterhalten. Und ich dachte mir so, wie verrückt das doch sei. Und habe dann selbst bald damit angefangen, mit diesem Laufen um die Außenalster. Ganz naiv habe ich mich dort übrigens immer im Uhrzeigersinn bewegt. Angeblich macht man das gar nicht so, angeblich läuft man immer genau anders herum. So steht’s hier im Buch. Erstaunlich, diese gemeinhin ungeschriebenen Gesetze. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das doch schon mal gemacht, bin tatsächlich schon mal entgegen des Uhrzeigersinns dort gelaufen. Prompt kam ich andernorts heraus, als ich das beabsichtigte. Sachen gibt’s. Als wahres Navigationstalent kann man sich also auch prima in hochzivilisierten Gegenden verlaufen, dazu muss man gar nicht in irgendeinen einsamen Wald. Faszinierend. Aber ich schweife ab.
Hier geht es ja um ein Buch. Eines, das sprachlich top geschrieben ist. Das war aber zu erwarten. Die Autorin hat das mit dem Formulieren halt drauf. Da mäandern die Sätze, dass es eine einzige Freude ist, da springt einem mehrfach ein »anderthalb« entgegen, das mal euphorisch und mal ganz melancholisch daher kommt. Wundervoll.
Und dann gibt’s da noch so ein Abfallprodukt des Laufens, so ein komisch motivierendes. Denn manchmal muss man sich quälen, manchmal ist es anstrengend, schmerzt auch und man fragt sich, wie man das noch schaffen soll und dann geht es irgendwie und man resümiert wie hier im Buch:
Ich habe es geschafft. Ich kann alles schaffen.
Das hilft manchmal wirklich.
Laufen ist top. Laut irgendeiner Studie, welche kürzlich in einer Folge des PsychCast zitiert wurde, bewirkt es ähnlich viel wie vom Arzt verordnete Drogen gegen Depressionen. So etwas glauben wir hier doch gern. Und für die Momente, in denen man dann doch mal ganz schlicht herumsitzt gibt es unter anderem dieses feine Buch in die Hand. Laufen heißt es, um Depressionen geht es, auf ersteres macht es Lust, gegen letzteres hilft es zumindest ein klein wenig. Es mag unpassend sein, aber: Dieses Buch zu lesen macht Spaß.
Eine glasklare Empfehlung.