Spätestens seit den Momenten der Klarheit von Jackie Thomae wissen wir: Ganz schwer in Mode ist seit einer Weile das episch breite Offenlegen wankelmütiger Seelenzustände von beziehungsunfähigen Großstädtern, welche ihre Gemütszustandsschwächen zwar hochgradig intensiv reflektieren, dabei aber nicht in den Griff bekommen. Es ist eine Unsitte. Klassischerweise wird sie übrigens in Berlin ausgelebt. Damit ist Señora Thomae gar nicht allein. Irre, wie kaputt diese Stadt zu sein scheint. Wenn es auch nur halbwegs einen Realitätsbezug hat, könnte man meinen, dass die Stadt bald ausstirbt. Aber der Eindruck täuscht sicher.
Um diese Stolperfalle des Offensichtlichen, des Eh-Klaren und des in Trivialitäten-Versinkenden macht Schneepoet einen geschickten Bogen. Es spielt nämlich nicht in Berlin. Ganz so einfach entkommt man dieser Falle jedoch trotzdem nicht. Die Seelenoffenbarung scheint magische Kräfte auszuüben. Anziehende vor allem. Wesentliche Handlungsstränge nach Paris auszulagern hilft somit nicht. Die Selbstanalysen werden dadurch nicht tiefsinniger, die eigentlich sinngebende Auswirkung wird nicht erkenntnisreicher. Denn sie käme erst nach der egozentrischen Larmoyanz, also nach dem wehleidigen Jammern über die Schlechtigkeit des eigenen Seins. Genau darum geht es hier nämlich: Dem Versuch der Schlechtigkeit des eigenen Seins zu entkommen. Der Protagonist ist von ernsten Beziehungsschwierigkeiten geplagt. Von seiner langjährigen Partnerin hat er sich getrennt, worüber er jedoch nicht hinwegkommt. Er sucht die Lösung in der Flucht und es ist vor allem eine Flucht in viele weitere Beziehungen, kleine solche, unbedeutende, vom Geschlechtsakt durchzogene, ja: domininierte. Der Samenstau bestimmt das Bewusstsein.
Das hat sicher seinen Reiz. Es könnte der Aufhänger sein, dessen sich der Text bedient, um die Entwicklung eines Reifeprozesses zu zeigen. Generationenkonflikte können hier Einfluss nehmen, ein spätes Coming-of-Age resultieren, Parallelen sich bieten für den Blick auf den ganz eigenen Alltag des Lesenden, auch der Gesellschaft könnte sich ein Spiegel bieten.
All das macht der Schneepoet jedoch leider nicht. Er bleibt im Tagebuchcharakter der chronologischen Protokollierung hängen. Und das passiert ganz hervorragend konsequent. Der Lesefluss wird nicht durch unverständliche Tempowechsel irritiert. Die erzählten Geschichten reihen sich anekdotisch aneinander. Ist man erst einmal drin im Text, weiß man, was einen noch erwartet. Das hat seinen Charme und ist vollkommen okay so. Wenn man es denn mag.