Ei in Avocado. Oder: Es ist kompliziert.
Von Señor Rolando
Es ist wirklich vertrackt: Trotz der manchmal etwas surreal anmutenden Nachrichtenlage sind uns die großen Dramen der Weltgeschichte abhanden gekommen.
So scheinen die alles vernichtenden Krankheiten überwiegend überwundenen zu sein. Pest? Besiegt. Cholera auch. Anstatt uns jedoch einigermaßen entspannt zurück zu lehnen, kämpfen wir saisonal variierend gegen den Heuschnupfen oder andere Zivilisationskrankheiten.
Auch die großen Kriege haben wir in unserem direkten Umfeld seit einer respektablen Weile nicht mehr gehabt. Kurz davor haben wir uns zwar gleich zwei Weltkriege geleistet. Aber es scheint, dass angenehm viele doch etwas daraus gelernt haben.
Damit möchte ich nicht sagen, dass sich alle nur friedlich miteinander in den Armen liegen. Wirklich nicht. Aber die ganz großen Dramen, die sich auch mal mehr als drei Tage in den Nachrichten halten, gibt es doch erfreulich selten. Wir müssen uns somit relativ wenig Sorgen machen. Im Großen und Ganzen passt es. Wir können unseren Alltag leben, ohne dass uns dabei jemand wesentlich stören würde.
Wie schön.
Aber ohne Sorgen geht es nicht. Natürlich nicht. Und wenn wir keine haben, dann schaffen wir uns welche. Zum Beispiel bei einer der schönsten Sachen des Lebens: dem Essen. Es ist skurril.
Da denken sich die einen wahnsinnig kreative Diäten aus, anstatt mit dieser Energie lieber schöne Dinge zu schaffen und schlicht zu essen, was einem selbst am besten schmeckt. Da suchen und finden andere Allergien und Intoleranzen, die eigentlich nur einen sehr kleinen Prozentsatz von uns allen betreffen, auf einmal aber für die Mehrheit relevant zu sein scheinen. Und dann stellen wir mittels zumindest teilweise durchaus ordentlich durchgeführter Studien und Recherchen fest, was für einen unangenehm großen ökologischen Fußabdruck einige unserer Lebensmittel hinterlassen. Vor allem Fleisch ist dabei sehr, sehr unheimlich.
Aber kleine, unschuldige Früchte sollte man doch noch zu sich nehmen können, oder? Avocados zum Beispiel. Sie sind nicht nur grün, sie sind auch lecker und obendrein noch furchtbar gesund. Das ist fast schon wieder zu viel des Guten. Aber was soll man machen? Lecker ist lecker. Also habe ich einmal spontan ein ganz schlichtes Rezept einer lokalen Blognachbarin gegriffen und ein Ei in der Avocado gebacken. Das kann ich sehr empfehlen. Das ist so einfach und doch gut. Eine wahre Freude.
Klar, die Früchte stammen wohl eher nicht vom kleinen Biobauernhof um die Ecke. Da mache ich mir wenig Illusionen. Aber wenn wir das Gemüse schon importieren, vielleicht kommt es dann immerhin nicht mit dem Flieger, sondern auf dem Boot angeschwommen. Das klingt verhältnismäßig vertretbar.
Doch noch während ich von charmanten Früchten beim Landgang träume, spült jemand einen Hinweis über die genauere Herkunft der Avocados und der allgemeinen Umstände eben dort vor Ort in die Timeline. Das ist durchaus interessant zu lesen. Und ich fasse es mal kurz zusammen mit: Mexiko, Raubbau, Waldroderei und mafiösen Zuständen. Oder kurz: Ohje.
Dafür haben wir die großen Themen also einigermaßen in den Griff bekommen. Dafür, dass wir uns sogar die kleinen Dinge des Lebens ganz in Ruhe kaputtwirtschaften können.
Es ist wirklich kompliziert. Und ich gehe mir jetzt mal einen Apfel suchen. Vielleicht finde ich ja einen vom kleinen Biobauernhof um die Ecke.