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Bloß nicht anschwärzen lassen

Lernen im Alltag – was könnte es schöneres geben? Damit meine ich jetzt nicht das explizite Studieren in einem geordneten Kurs, wobei auch das nicht verkehrt ist. Nein, ich meine vielmehr das Lernen durch die bewusste Wahrnehmung der eigenen Umgebung. Denn wenn man nur aufmerksam genug durch die Gegend mäandert, stößt man auf so dermaßen viele anregende Inspirationen, dass einem ganz schwindelig werden kann. Es ist total verrückt. Und es klappt sogar bei den langweiligsten Alltagsbeschäftigungen. Dem Zuckeln über die Autobahnen hier in den Südstaaten zum Beispiel. Da sieht man Sachen, man kann sie kaum glauben.

So hängen an den Autobahnbrücken zum Beispiel nicht nur die diversen Spielarten von Blitzern herum, sondern auch große Plakate mit Belehrungstexten zum ordnungsgemäßen Fahrverhalten. Das ist per se gar keine schlechte Idee. Man hat beim Fahren schließlich eh nicht so viel zu tun, da kann man ruhig sein verkehrsrechtliches Allgemeinwissen ein wenig auffrischen. Sinnvollerweise sind die Texte jeweils prägnant auf den Punkt gebracht und stammen außerdem von diversen A-, B-, C- oder D-Klasse Promis. So lernt man beispielsweise von der lokalen Boxerin Regina Halmich:

„Ich fahre defensiv – damit komme ich über die volle Distanz.“

Das ist griffig. Das ist verständlich. Das kann man sogar den Kindern erklären. Da lässt sich obendrein noch eine Lektion über Metaphern einstreuen, über sprachliches Geschick, über den eigentlichen Sinn, über vornehme Zurückhaltung, die greift und sinnvoll ist, obwohl man eigentlich viel dicker auftragen könnte. Genau das eben nicht zu tun, ist die Kunst. Das ist Eleganz. Das hat Klasse. Und es ist alles reduziert auf ein Plakat an einer Autobahnbrücke.

Großartig.

Stünde an der nächsten nicht das hier:

„Wir fahren regelkonform, damit uns keiner anschwärzen kann.“

– Eure Mütter

Da wird es mit den sinnvollen Erklärungen schon schwieriger. Mit gutem Willen könnte ich jetzt den Passagieren auf der Rückbank etwas davon erzählen, dass Eure Mütter ein Komiker-Trio formen, man den Spruch also sicher rhetorisch gedreht verstehen sollte, dann würde es ganz komisch werden. Oder so.

Tatsächlich macht mir dieser Spruch jedoch viel eher klar, dass hier im Haus sämtliche Erziehungsmaßnahmen ins Leere gegriffen haben und alle Bestrebungen zur sinnvollen Entwicklung der Kinder schief gelaufen sind, wenn diese jemals einen Spruch wie den obigen abgeben. Denn entweder haben sie es dann selbst zum engstirnigen Fremdmeinungsbestimmer geschafft oder sie sind schlicht zu servilen Hörigen geworden, denen jedwede Fähigkeit zum Selbstdenken abhanden gekommen ist. Gerade prickelnd sind beide Vorstellungen nicht.

Aber immerhin habe ich durch den Spruch etwas gelernt. Für mich. So ganz nebenbei. Das ist ja auch viel wert. Rede ich mir jetzt ein.