Von den Großen lernen
Von Señor Rolando

Man lernt im Leben nie aus. Das ist eine alte Binsenweisheit. Und doch ist viel dran. Man sieht es zum Beispiel sehr gut dann bestätigt, wenn man Kinder mit im Haus wohnen hat.
Die Lektion dieser Woche steht zum Beispiel jetzt schon fest: Man muss gar nicht jeden Tag Arbeiten gehen. Man kann auch einfach mal einen Tag lang Geburtstag feiern. Praktischerweise ist der Sohn kürzlich acht geworden. Was für ein Anlass. Da kann man nicht nur feiern, dabei kann man sogar – genau – etwas lernen. Das ist auch gar nicht schwer. Alles, was man dafür braucht, sind ein paar Gäste für den Nachwuchs und zwei Ohren, die man eh nicht verschließen kann.
Dann legt das Ausbildungsteam auch schon direkt beim Auspacken der Geschenke los. Inhaltsmäßig ist wenig überraschendes dabei. Die Bücher haben immer weniger Bilder, dafür satten Fließtext. Auf die Inhalte kommt es eben an. Immer nur oberflächlich den Schein wahren, das reicht nicht. Das ist eine glasklare Ansage. Und mal ganz ehrlich: Davon können wir uns beim Spielen im Job verdammt oft eine verdammt dicke Scheibe abschneiden.
Natürlich finden auch diverse Lego-Sets ihren Weg ins Haus. Auch wenn dieser Kunststoffveredler vor etwa zehn Jahren quasi pleite war, hat er sich erholt und bietet heute eine tatsächlich beeindruckende Angebotsvielfalt bei den steckbaren Kleinteilen. Keine der entsprechenden Packungen bleibt bei der großen Auspackzeremonie unkommentiert. Jedes Teil hat entweder einer der Anwesenden auch selbst, oder kennt jemanden, der es hat oder hat schon mal von jemandem gehört, der jemanden beim Zusammenbauen beobachtet hat. Alle Erfahrungen stammen aus erster Hand, ganz klar. Ich bin sehr dafür, dieses Ausmaß an ehrlicher Produktbegeisterung ab sofort auch für Inhaber ganz normaler Arbeitsplätze in ganz normalen Firmen zum freiwillig zu leistenden Pflichtprogramm zu erklären. Irre, was wir mit dem resultierenden Elan alles erreichen könnten.
Irre ist es auch, was die Jugend während des simplen Kuchenessens an Lebensweisheiten fabriziert. Das gilt insbesondere, da sie auf der einen Seite zwar nach Selbstauskunft schon total groß sind, auf der anderen Seite aber noch jung genug, um nicht schon vollkommen politisch korrekt weichgespült zu sein. Mit acht darf man nicht nur eine Meinung haben, sondern diese auch noch vertreten.
So habe ich zwar die Einführungssätze bedauerlicherweise nicht mitbekommen, aber irgendwann fragt einer der Gäste beim Sohn an:
Warst Du auch cool genug? Also, wenn die Mädchen zugucken und wir das mitbekommen, dann sind wir total cool. Noch cooler als wir eh immer sind.
Das wäre somit geklärt. Aber die Teenager-Zeiten erkläre ich damit trotzdem noch nicht für eröffnet, zumal die überwiegende Reaktion eher zurückhaltend war. Die Mehrheit hat leicht ungläubig geguckt und sich lieber erst noch einmal ein Stück vom Kuchen genommen. Das ist ganz generell eine gute Taktik. Sie greift tatsächlich auch im Arbeitsalltag. Ich habe es selbst schon probiert: Wenn jemand im Team tatsächlich mal nicht-nachvollziehbare und unzusammenhängende Erfahrungen von sich geben sollte, muss man das gar nicht immer kommentieren. Man kann sich stattdessen einfach ein Stück Kuchen nehmen und gut ist es. Ich kenne kaum angenehmere Konfliktvermeidungsstrategien.
Wobei das natürlich nicht heißt, dass das jeweils fragliche Thema komplett irrelevant ist. So gibt es zum Beispiel durchaus Jungs und es gibt Mädchen. Da gibt es wenig zu diskutieren. Es ist ein Fakt, ein nachzählbarer. So ergibt der Erfahrungsaustausch aus den verschiedenen Schulen, welche die Gäste besuchen, ganz erhebliche Diskrepanzen. Sie äußern sich zum Beispiel so:
Ihr seid nur sieben Jungs in der Klasse? Ohje, soviel Mädchen. Die machen ja doch ganz schön Stress.
Wahrscheinlich ist es die quasi ganztägige Coolness. Die stresst sicher. Ich kann das verstehen. Die zwei Mädchen hier in der Runde nehmen es übrigens gelassen. Kommentar gehört, Kommentar zur Kenntnis genommen, Kommentar ansonsten ignoriert und lieber noch einmal zur Karaffe mit dem Kaltgetränk gegriffen. So banal es klingt, aber das ist genau die Reaktion, die uns im Büro so oft fehlt. Ich bin ganz klar für mehr selektive Ignoranz und definitiv für mehr Kaltgetränkkaraffen. Und nein, keine Angst, das gilt explizit nicht nur für jene Sprüche, die andernorts die Chauviekasse füllen.
Etwas unschlüssig bin ich mir noch in der Gerechtigkeitsfrage. So veranstaltet der Sohn als Teil seiner Party ein Eier- Mandarinen-Wettlaufen. Mit zwei Mannschaften, die gegeneinander antreten. Und kurioserweise werden dabei tatsächlich meine Urteile als vollkommen objektiver, unvoreingenommener und absolut neutraler Schiedsrichter angezweifelt. Kleinere Messungenauigkeiten von gerade mal einer halben Runde Vorsprung werden mir als Verdrehung von Tatsachen untergeschoben, die mit großem Entsetzen als ungerecht! angeprangert gehören. Also, ich weiß ja nicht. Aber letztendlich gilt auch das ganz genau so im realen Arbeitsleben da draußen: Gerechtigkeit ist eine Ansichtssache und manchmal kann es für den (firmeninternen) Weltfrieden ganz vorteilhaft sein, nicht gar zu hart auf der eigenen Weltsicht zu bestehen. Die anderen haben schließlich eh keine Ahnung, ganz klar. Und man kann sie leider nicht alle erziehen, das gilt für Kinder anderer Familien ebenso wie für die meisten Arbeitskollegen.
Unter dem Strich bleibt als Erkenntnis: Einen Tag mitten in der Woche frei machen, das geht. Klappt super. Man kann problemlos einfach mal einen Tag lang nicht die Welt retten. Und stattdessen Achtjährigen zuhören, von ihnen lernen. Und am Tag danach dann wieder ganz groß durchstarten. Vollkommen stressfrei, versteht sich.