Einzelkämpfer
Von Señor Rolando
Es gibt so Tage. An denen geht man nicht einfach nur Laufen. An denen klappt’s wirklich. An denen läuft’s rund. An denen spulen die Füße ein Programm ab, von dem ahnte man vorher nicht, dass man es selbst einmal erleben würde. Das fühlt sich dann tatsächlich gut an. So entstehen Momente der Euphorie. Als Läufer schäumt man derart über vor pulsierendem Ego, es wird einem fast schon selbst unheimlich.
Es sind Läufe wie diese, während denen man anfängt zu träumen. Unterwegs fliegen die Gedanken, sie laufen nicht nur. Ewig könnte es so weitergehen, denkt man sich. Hier, heute und jetzt: Einfach einen Marathon laufen. Das wäre gar kein Problem. Das würde einfach passieren. Hätte man sich für später am Tag nicht schon etwas vorgenommen, es spräche auch kaum etwas dagegen. Wenn das klappt, dann jetzt. Diese Gedanken schießen einem durch den Kopf. Und doch scheint das alles nicht genug zu sein. Als gemeiner Läufer träumt man plötzlich von mehr. Schließlich scheint heute alles möglich. Warum bei einem Marathon aufhören? Warum nicht weiterlaufen? Hier entsteht ein Ultra. In Gedanken ist man schon mittendrin, bin ich schon mittendrin. Ein Ultra, das ist schließlich nichts anderes als nach der Marathondistanz einfach weiterzulaufen. Warum aufhören, warum anhalten, wenn die Füße einen locker weitertragen können? Ich bin im Flow. Endlich! Da sind sie, diese Endorphine. Was habe ich sie gesucht.
Wenn ich zurück bin, wenn diese eine kleine Abendlaufrunde beendet ist, muss ich gleich der Dame davon berichten. Sie kennt mich nämlich. Daher ist sie es gewohnt, dass ich nach einem Lauf fertig auf dem Boden liege und es vor Jammerei kaum allein unter die Dusche schaffe. Jetzt ist alles anders. Heute fließt Glück pur aus mir heraus. Ich teile es mit Ihr. Ich erzähle ihr von meinem Traum. Ach was, ich erzähle nicht; ich schwärme von großen neuen Plänen, davon, dass mir die Laufstrecken dieser Welt zu Füßen liegen werden. Mein Enthusiasmus ist nicht mehr zu bremsen.
Die Dame hört mir zu, blickt dabei zwar nicht wirklich von ihrem Rechner hoch, ist aber trotzdem garantiert vollkommen bei der Sache, hundertprozentig bei mir, gleich entfacht das Feuer auch in ihr. Nur so ganz beiläufig fragt sie mich jedoch, ob ich gerade neue Drogen ausprobieren würde. Sie widmet sich dann weiter dem Gerät auf ihrem Schoß.
Tja, Laufen ist tatsächlich ein Sport für Einzelkämpfer. Die eigenen Füße gegen die Natur; mehr braucht’s gar nicht. Manchmal muss einen nur jemand dezent daran erinnern.
Jetzt gehe ich erst einmal Duschen.