Der Ganztag, dieses neumodische Ding
Von Señor Rolando
Unter uns Schreibtischtätern hat es sich in letzter Zeit eingebürgert, das sehr feine, hochwertige, ehrenwerte und hart erkämpfte Recht auf demokratische Mitbestimmung durch das Ankreuzen des korrekten Feldes in Online-Petitionen nicht nur wahrzunehmen, sondern bis an sein maximal mögliches Limit zu treiben. Das ist natürlich etwas ganz Feines. Denn mal ganz ehrlich: In der Vielzahl der Themen, Probleme und Dramen, die tagtäglich auf uns einprasseln ist allein die pure Meinungsäußerung manchmal schon das meistmöglich Machbare. Und es geht durchaus oft um verständliche Sorgen. Erinnern wir uns zum Beispiel an das Hebammendrama. Das ging hier im Haus damals zwar noch gut aus und die Tochter ist ganz wundervoll zur Welt gekommen. Aber das Thema kommt leider <a href=“http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/812163/viele-hebammen-prekaerer-situation.html?sh=1&h=-122817615"immer wieder.
Erinnern wir uns aber auch an die unsägliche Stoppschildidee zum Sperren des Zugangs zu unliebsamen Webseiten, anstatt diese einfach löschen zu lassen. Was sogar funktioniert. Manche staunen. Und war es nicht auch eine Petition, die ein wenig mit an der Vernunftsschraube gedreht hat? Auf jeden Fall war es bei der ganz themenverwandten Vorratsdatenspeicherung so. Und bei vielen anderen. So einige davon waren und sind sehr sinnvoll, manche zugegebenermaßen eher nicht so.
Jetzt gibt es auf jeden Fall eine neue. Es ist eine Petition gegen verpflichtende Ganztagesschulen. Sie ist natürlich wohlbegründet und sicherlich sehr gut gemeint. Geht es doch um nichts anderes, als die Nachmittagsgestaltung für unsere Schüler möglichst flexibel zu belassen. So, wie sie aktuell ist. Oder besser: so, wie sie es vor kurzem noch war. So, wie wir es kennen. Mit einem Elternteil zu Hause, der sich dann kümmern und Fahrdienst spielen kann. Mit vielen kleinen, unabhängigen Sportvereinen, Theatergruppen, Chören, Musikschulen und freien Musiklehrern. Das ist Vielfalt. Das ist toll. Das kann man durchaus für bewahrenswert halten. Sei es als Eltern, sei es als jene, die diese Angebote schaffen. Eine Ganztagesschule nimmt hier einiges vom Spielraum. Sie bündelt die Aktivitäten an der Schule. Die in der Gegend verteilte Vielfalt hat es damit schwer. Ein Kind, das in der Schule Sport treibt oder musiziert, lässt sich nicht gleichzeitig von den Eltern an entferntere Orte fahren, um das gleiche zu tun.
Die Sorge um den so fehlenden Nachwuchs ist zu verstehen.
Aber die Zeit schreitet trotzdem voran. Das Leben geht weiter. Die Sitten ändern sich. Das ist nichts Neues. Wenn wir genau hingucken, war das schon immer so. Nur wenige laufen heute noch nackt mit der Keule durch den Busch, um sich ihr Frühstück zu jagen. Nein, nein. Andere Zeiten, andere Lebensumstände. Und derzeit haben wir wieder die Möglichkeit, dass auch Eltern sich recht frei entfalten können. Dazu gehört zum Beispiel, jeweils eigenen Tätigkeiten nachzugehen. Und dazu gehört, die Kinder in Ganztageskitas und -schulen mit ihren Freunden eine möglichst interessante und anregende Zeit verbringen zu lassen.
Zwei Kitas habe ich hier in den Südstaaten in letzter Zeit persönlich erlebt. In einer davon ist ein größerer lokaler Musiklehrerverband aktiv und bietet seine Kurse an. Für diese Kurse kommen die Lehrer direkt in die Kita, versteht sich. Dafür muss kein Kind extra durch die Gegend fahren. In einem Moment toben die Kinder draußen im Garten, im nächsten Moment musizieren sie drinnen und nur wenig später toben sie weiter. Das passt. In der anderen Kita ist eine selbständige Musiklehrerin aktiv. Auch sie bietet ihren Kurs an. Auch sie macht es direkt in der Kita. Spielen, musizieren, weiterspielen. Passt.
Ich kann das Konzept der Ganztagesbetreuung nur empfehlen. Den Kindern macht es Spaß. Wir Eltern haben trotzdem unsere Freude mit dem Nachwuchs. Nur eben weniger beim Pendeln zwischen diversen Freizeitaktivitäten und mehr beim Spielen und Lernen im ganz eigenen Umfeld. Andere sehen das anders, ganz klar. Ich habe da volles Verständnis für. Für jene gibt es jetzt z.B. diese Petition. Aber Vereine und andere Anbieter von Alltagsfreizeiten sollten vielleicht trotzdem überlegen, ob ein Gespräch mit den örtlichen Kitas und Schulen nicht ein gutes sein könnte. Denn der Nachwuchs der kommenden Jahre, er steckt genau dort. Der Blognachbar Herr Buddenbohm hat es kürzlich recht prägnant auf den Punkt gebracht:
Die Vereine, die Sportarten, die Freizeitbeschäftigungen, sie müssen alle, alle in die Schulen, sie müssen in den Ganztag, es geht sonst einfach nicht.
Es geht sonst einfach nicht. Ganz genau. Eine Petition wird daran wenig ändern.