Von Zöpfen und dem Lebensende
Von Señor Rolando
Einer der glasklaren Vorteile am Leben mit zwei Kindern ist es, dass sie sich damit abwechseln können, das notwendige Unterhaltungsprogramm für die Auflockerung des Alltags zu liefern. Wenn also beispielsweise der Sohn mit seinem gewohnten Entspannungspegel am Morgen sich heimlich in seinem Zimmer verbarrikadiert, um dort in Ruhe Bücher zu lesen oder phänomenale Legogebilde zu schaffen, dann ist wenigstens die Tochter so gnädig, einen aus dem Bett zu holen, um in trauter Zweisamkeit das alltägliche Badritual abzuspulen.
Das ist sehr schön. Ich weiß das zu schätzen. Endlich können wir uns mal in Ruhe zu zweit unterhalten. Ganz ohne, dass sich jemand einmischt, laufend ablenkt oder fragt, was wir hier eigentlich herumtrödeln. Hier und jetzt gibt es nur die Tochter und mich. Wir haben alle Zeit der Welt. Lass die anderen doch schlafen, Bücher lesen oder Gebilde erschaffen. Uns tangiert das nicht. Wir putzen hier schließlich die Zähne. Wir planen den Tag. Wir werten den letzten Klatsch und Tratsch aus der Kita aus. Wir sind quasi Yin und Yang. Wir sind so dermaßen tiefenentspannt, dass die Tochter mich sogar darum bittet, ihr die Haare zu bürsten und einen Zopf zu schnüren. Das gibt’s nicht oft. Das ist gemeinhin nicht ihr Ding. Sie mag es nicht gern eingeschränkt. Auch ihre Haare sollen sich entfalten dürfen. Das ist wahrscheinlich der neue Liberalismus, von dem man gelegentlich hört. Die Tochter hat ihn schon voll drauf.
Wenn aber die kleine Dame spontan von ihrer Routine abweichen möchte, unterstütze ich das gern. Beschwingt nehme ich die Bürste und lasse sie sanft durch ihre Haare gleiten. Sie lässt es sich nicht nur gefallen, sie hält sogar vollkommen still. Es scheint fast, als genieße das Kind unsere Zweisamkeit. Es fehlt nicht viel und sie fängt an zu schnurren. Ich kann das verstehen. Als moderner Mann von heute ist man auch zu sanften Tätigkeiten berufen. Das Kämmen von Haaren wird dabei zum Ausdruck der vollkommenen Eleganz. Natürlicher wird’s nicht. Das ist Zen.
Bis sich ein kleiner Knoten in den Haaren der Tochter in den Weg stellt. Zwei kleine Strähnen haben sich über Nacht wohl verheddert. Das kann ja mal passieren. Das kommt auf den besten Köpfen vor.
Entsetzt guckt die Tochter mich an. Damit hat sie offenbar nicht gerechnet. Fast schon schmerzverzerrt presst sie hervor: “Papa, müssen wir alle sterben?”
Ich habe den Zopf dann doch noch fertig bekommen. Und einen halben Tag später sind hier im Haus auch alle wohlauf. Aber es war wohl knapp.