Was man auf einer Lesung lernen kann
Von Señor Rolando
Lesungen sind ein drolliges Geschäft. Da kommen Leute zusammen, um gemeinsam einem aus der Runde zuzuhören, der aus einem Text vorliest, welcher gemeinhin dafür gemacht ist, dass man sich ihm allein und in aller Ruhe widmet. Warum machen die das? Die Frage wird ja wohl erlaubt sein. Vor allem, wenn die ausgewählte Örtlichkeit ausverkauft scheint und nicht nur alle Plätze belegt sind, sondern auch noch kreativ in der Gegend herumgestanden wird. So, wie wir es heute gestern auf der Lesung von Saša Stanišić hier vor Ort in den Südstaaten erlebt haben, dieser Lesung zu seinem aktuellen Buch. Mitten im Hochsommer. Eine ausverkaufte Lesung. Sachen gibt’s, man hätte sie gar nicht für möglich gehalten. Das haben wir hier schließlich auch schon anders erlebt.
Aber dieses Mal nicht. Dieses Mal ist die Bude voll. Wir haben es hier wohl mit einem Profi zu tun. Auf jeden Fall ist es jemand, der bereits eine gewisse Routine hat. Man merkt es von Anfang an. So fängt die Veranstaltung damit an, dass der Lesende quasi wie nebenbei eine emotionale Beziehung zum Publikum herstellt. Es gibt zum Auftakt gleich einmal einen lockeren Schwank aus der Jugend, der natürlich direkt hier vor Ort spielt. Es wirkt so leicht, als wäre es spontan improvisiert. In Wirklichkeit ist diese Spontanität solide vorbereitet. Daran habe ich keinen Zweifel.
Das Eis ist gebrochen. Der Autor geht zu seinem regulären Text über. Also dem seines Buches. Und liest ausgewählte Passagen vor. Allerdings nicht einfach als stupiden Monolog. Sondern sehr leicht. Er spielt mit dem Text. Den später von einer Dame aus dem Publikum angemerkten Stakkatocharakter des Textes erleben wir auf einmal als angenehm leichte Kost, die beim Selbstlesen übrigens gar nicht so trivial wirkt. Etwas beinahe Komplexes ganz einfach herüber zu bringen, das ist wahre Kunst, Vorlesekunst. Hier nimmt ein Autor alles Verkrampfte aus dem Umgang mit seinem Text heraus, es ist eine wahre Freude. Kompliziert kann nämlich jeder. Das ist viel einfacher. So paradox es auch klingt.
Es ist schön, wenn jemand Entspannung gegenüber seinem eigenen Text herstellen kann. Es hilft, wenn man sieht, dass der Griff zum Buch ein ganz natürlicher sein kann. Das hilft dem Leser. Das hilft dem Text. Das hilft dem Verständnis. Das hilft dem Spaß bei der Sache. Und darum geht’s doch, oder?
Damit hätten wir auch die Frage geklärt, was diese Sache mit dem öffentlichen Lesen von Texten, die eigentlich für das stille Kämmerchen gemacht sind, eigentlich für einen Sinn hat. Sie erinnert einen daran, dass es in Büchern um Geschichten geht; dass Geschichten dafür gemacht sind, dass sie erzählt werden; dass das Erzählen von Geschichten ein großer Spaß ist.
Das ist doch mal was.