Ein Helgolandmarathon
Von Señor Rolando

Einen Marathon zu laufen ist eine reichlich sinnlose Angelegenheit. Ich sage das lieber gleich vorweg. Damit haben wir das geklärt. Ein paar Details dazu gab’s beim ersten Mal schon. Das müssen wir jetzt nicht alles wiederholen, oder?
Und wenn wir die Grundlagen schon mal geklärt haben, wird auch alles gleich viel klarer. Wenn man die Unsinnigkeit erst einmal akzeptiert, wird der ganze große Rest drumherum quasi vollkommen logisch. Wie zum Beispiel die Vielzahl und der Variantenreichtum bei den auf dem Markt verfügbaren Laufveranstaltungen. Zum Einen gibt es dabei den kleinen sympathischen Marathon um die Ecke. Den bietet fast jede Gegend. Ob die Strecke nun in kreativen Wirrungen durch die Stadt geführt wird oder einfach auf dem Deich entlang des nahegelegenen Flusses: die eigene Wohnlage bestimmt die Kreativität.
Auf der anderen Seite gibt es die Marathonstrecken, welche sich auf ihre jeweils ganz eigene Art und Weise von allen anderen versuchen abzuheben. Ihnen wohnt die Individualität quasi als intrinsisches Gut inne. Ist das nicht herzerweichend? So eine Perle findet man zum Beispiel auf Helgoland. Und genau davon reden wir hier. Aber der Reihe nach.
Vorher
Die Wege zu einer Laufveranstaltung, sie sind verworren. Ich meine: wie findet man so etwas wie einen Helgoländer Marathon? Mit intuitiver Annahme, was so sinnvoll machbar sein könnte, sicherlich nicht. Empfehlungen gehen da schon eher. So war das zumindest hier. Als Reaktion auf den Spaß vom letzten Mal gab eine Freundin des Hauses den dezenten Hinweis auf die Helgoländer Runden. Dezent hilft hier natürlich gar nichts. Noch während meiner spontanen “WTF”-Reaktion habe ich spontandynamisch auf den Anmeldeknopf gedrückt. Das war sieben Tage nach dem letzten Lauf.
Deutlich später fing das Training an, das #Inseltraining. Die Prokrastination, sie kennt keine Grenzen. Etwas euphemistisch nennen wir das natürlich lieber Entspannung. Diese ist schließlich wichtig. Gestresst kommt selten jemand zum Erfolg.
Entspannt ist es übrigens auch, wenn man erst einmal auf der Insel angekommen ist. Auf der einen Seite reden wir hier schließlich von Helgoland. Das ist quasi der Inbegriff der Entspanntheit. Wer es mit seinem kolossal überfrachteten Alltag nicht mehr aushält, sollte sich ruhig mal ein paar Tage auf dieser Insel gönnen. Sie lockert quasi jeden.
Das reicht hin bis zum Marathon. Denn durch die totale Beschaulichkeit gibt es eines vollkommen automatisch: ein Hotel, dass direkt an der Laufstrecke liegt. Es muss dabei gar nicht jenes sein, welches den Startpunkt definiert. Die meisten anderen sind auch toll und wohlgelegen. Das klingt jetzt banal und nach albernem Luxus. Aber zu schätzen lernt das jeder, der schon mal zu einem der großen Cityläufe anreisen durfte. Anstatt einfach in drei Minuten aus dem eigenen Zimmer in den Startblock zu fallen, braucht es a locker eine Stunde der Navigation durch eine fremde Stadt. Sowohl hin als auch zurück. Das ist dann übrigens jeweils eine Stunde ohne Toilette und Dusche. Das ist ein Unterschied, der ist so groß, man macht sich keine Vorstellungen.
Unterwegs

Die Strecke ist ein großer Spaß. Das ergibt sich ganz zwangsläufig, wenn man einen Marathon auf eine Insel packt, die selbst gerade mal einen Quadratkilometer groß ist. Da geht es nicht nur hin und her, da geht es drunter und drüber. Wer Helgoland kennt, weiß: Es gibt ein Ober- und ein Unterland. Dazwischen diverse Verbindungswege, Treppen und einen Fahrstuhl. Letzteren darf man für den Lauf skurrilerweise nicht verwenden. Also geht es zu Fuß hoch und wieder runter. Man munkelt etwas von 40% Steigung. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber es fühlt sich beeindruckend an, das weiß ich.
So furchtbar das für die eigenen Füße und Waden natürlich ist, hat es einen klaren Vorteil: Man guckt viel weniger auf die Kilometer die hinter oder gar noch vor einem liegen. Man zählt vielmehr die Anstiege auf das Oberland, die man der Reihe nach absolviert. Fünf sind es insgesamt. Das ist eine überschaubare Zahl und gleich viel greifbarer als einzeln die 42 Kilometer abzuhaken, oder? So freut man sich zum Beispiel darüber, dass einen der letztlich Erstplatzierte erst nach dem dritten Anstieg überrundet. Das ist ja fast schon ein Erfolgserlebnis.
Um die Ernsthaftigkeit der Szenerie noch ein wenig zu unterstreichen möchte ich nicht verschweigen, dass wir es auf dem Oberland auch nach dem initialen Anstieg noch mit rekordverdächtigen Steigungen zu tun haben. Immerhin befindet sich dort oben das Gipfelkreuz des höchsten Punktes im Landkreis Pinneberg. Das ist schon sehr, sehr hoch.

Und wenn das noch nicht reicht, könnte es passieren, dass plötzlich unpassend Gäste auf dem Parcour stehen. Dabei rede ich noch gar nicht mal von unseren Freunden, den Ornithologen. Denn wenn man etwas auf dem Helgoland machen kann, ist es Vögel zu beobachten. Die gibt es dort in beeindruckenden Mengen und beschäftigt mit dem Training überaus faszinierender Flugmanöver. Das kann und sollte man sich ruhig angucken. Gern auch mit meterlangen Objektiven. Der geneigte Läufer kann unter diesen durchtauchen. Er ist schließlich sportlich.
Was ich aber vielmehr meine, sind Schafe, die auf den saftigen Wiesen des Oberlands weiden. Kühe gibt es auch, ich glaube aber, sie sind eingezäunt. Die Schafe genießen jedoch ihre Freiheit und laufen auch ohne Startnummer gegebenenfalls direkt über die Strecke. Es ist nicht immer leicht. Das Bild stammt jedoch noch aus Zeiten kurz vor dem Lauf. Es wurde den kleinen Kuscheltieren dann wohl doch zu bunt.

Auf der Insel hat man es ansonsten mit geordneten Verhältnissen zu tun. Es wirft zum Beispiel niemand einfach so seine Trinkbecher in der Gegend herum. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass die Gefahr besteht, sie quasi direkt in die Nordsee zu befördern und so den Zorn irgendwelcher Meeresgötter auf sich zu ziehen. Das möchte niemand. Vor allem nicht unterwegs. Wer weiß, was das für Auswirkungen auf das verbleibende Laufkarma hätte. Da riskiert man lieber nichts. Also herrscht Ordnung. Und wenn doch mal etwas daneben gehen sollte, so aus Versehen, oder wenn doch mal jemand etwas genüsslicher trinkt und an den Mülleimern mit noch vollem Becher vorbei läuft, dann machen sich die Kinder einen Spaß daraus, die Becher einzusammeln oder den Läufern direkt abzunehmen. Dass es sich bei einer Veranstaltung wie dieser um einen Wettkampf handelt, haben auch die Kinder schon gemerkt. Sie tragen ihren eigenen aus.
“Ich habe schon sieben Becher!”, sagt einer.
“Tja, ich habe 14.”, kontert ein anderer.
Das ist natürlich hart. Aber wir reden hier auch über die zweite Runde. In späteren Runden sehe ich an der Stelle nur noch einen Jungen, keine zwei mehr. Sein Becherstapel ist jedoch beachtlich. Man möge sich darauf einen Reim machen.
Danach
Ergänzend zum obigen #Inseltraining gibt es ein paar Anmerkungen rund um die Veranstaltung unter dem Hashtag #Helgolandmarathon. Berichte direkt von der Strecke gibt es jedoch keine. Das ist einer der glasklaren Nachteile des ganzen Dramas: Man ist stundenlang mit einer relativ monotonen Tätigkeit beschäftigt und greift zwischendurch nicht einmal zum Smartphone, um einen Blick auf die Timeline zu werfen oder selbige auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Unüblich, ich weiß.
Konkrete Pläne für weitere Veranstaltungen ähnlicher Art gibt es gerade nicht. Obwohl sich etwas in der Art des Marathon du Medoc durchaus charmant anbiedert. Dort geht es durch etwa 20 feine sündfranzösische Weingüter. Und man muss ja nicht immer Wasser zur Streckenverpflegung in sich hinein kippen. Für die nicht so trinkfesten Momente im Leben wird da draußen in der guten Welt natürlich auch etwas geboten. Untertage sogar. Es gibt sogar mehrere Marathon-Läufe, die in stillgelegten Bergwerken oder Salzstöcken stattfinden. Wie großartig ist das denn? Oder man wirft mal einen Blick auf Senftenberg. Dort gibt es auch einen Runden-Marathon. Wenn auch nicht über fünf Runden. Es sind stattdessen 169. Dafür gibt’s aber wohl keine Höhenmeter. Irgendwas ist wirklich immer. Faszinierend ist das alles trotzdem.
Aber lassen wir das mal einen Moment ruhen und genießen erstmal die momentane Erschöpfung. Die hält nämlich gar nicht so lange an. Und morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder ganz anders aus. So vielleicht:
Na dann.