Leserei
Von Señor Rolando
Wer denkt, der Tag mit Kindern endet, wenn diese im Bett sind, täuscht sich natürlich gründlich. Denn auch, wenn das gesamte Abendprogramm bereits abgespult ist, wenn die Mäuler gestopft, die Zähne geputzt, die Schlafsachen angezogen und die Gutenachtgeschichten gelesen sind, ist noch nicht Schluss. Nein, ganz kurz vor dem letzten Küsschen, kurz bevor man das Licht ausschalten und den Raum verlassen darf, fragt beispielsweise der Sohn noch in ganz unschuldigem Ton: “Papa, musst Du heute Abend eigentlich noch Arbeiten?”
Damit ist man durchaus locker für den Rest des Abends lahmgelegt. Denn natürlich ist es so, dass man selbst total wichtig ist. Selbstverständlich ist unsereins den ganzen Tag dabei, die Welt zu retten. Und wann hat man dabei schon Feierabend? Niemals, versteht sich. Das ist schließlich ein Fulltime-Job. Und Fulltime heißt eben rund-um-die-Uhr. So ist das nun mal. Und selbst, wenn man mit etwas Abstand betrachtet feststellt, dass man möglicherweise doch ein ganz kleines bisschen weniger wichtig ist und es streng genommen vor allem dem Weltfrieden total egal ist, was man den ganzen Tag so macht, dann kann es trotzdem sein, dass man gelegentlich am Abend noch einmal am Schreibtisch sitzt und etwas schafft. Belangloses halt, aber vielleicht hat man das auch schon mal dem Nachwuchs erzählt. Wer weiß? Manches rutscht einfach so heraus. Ich werde mir wohl besser mehr Mühe geben und auf meine abendliche Wortwahl achten.
Quasi als Training habe ich mir dann heute eine Lesung gegönnt. Also nicht so ganz allein und nur für mich, sondern eine öffentliche. Eine Lesung, bei der Autoren aus ihren Werken vorlesen. Das inspiriert und sensibilisiert für den Feinschliff der eigenen Wortwahl. Wenn das Ganze auch noch in einer kleinen, überschaubaren Lokalität stattfindet, ist’s sicher auch gemütlich. Da geht man nicht einfach anonym bei einer Massenveranstaltung unter. Da kommt man noch direkt mit den Autoren ins Gespräch. Wenn diese Autoren denn auch kommen würden. Was offenbar nicht so ganz selbstverständlich ist. Die Kulturszene hier in den Südstaaten ist immer für eine Überraschung gut und sei es nur jene, dass von zwei geplanten Vorleseautoren tatsächlich kein einziger zum Termin erscheint.
Das ist erstaunlich. Das öffnet einem aber auch die Augen. Zum Beispiel für die Erkenntnis, dass die Zukunft keineswegs dem Selfpublishing gehört, sondern Verlage sehr, sehr nützlich sind. Sie organisieren nämlich nicht nur Lesungen, sondern die Verlagsinhaber lesen im Zweifelsfall auch einfach für einen vor. Das klingt verlockend, zumindest aus Autorenperspektive. Man stelle sich jetzt mal vor, dass sich das Drama mit dem Schreiben auch noch irgendwie lösen und delegieren lässt und prompt eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten.
Als schnöder Zuhörer sehe ich mich jetzt aber erst einmal darin bestätigt, auch weiterhin einen Bogen um Texte rund ums Mittelalter zu machen. Das passt so gut in meine bisherigen Lesegewohnheiten, dass ich es keineswegs darauf schieben möchte, dass nicht die Autorin selbst aus der Geheimsache Luther vorgelesen hat, sondern eben ihre Verlegerin. Daran liegt meine Aversion jedoch ganz bestimmt nicht. Es ist vielmehr so: Das Mittelalter und ich, wir sind einfach nicht per Du. Das kann man ganz schlicht mal akzeptieren.
Dafür weiß ich jetzt: Der Western lebt! Wer hätte das gedacht? Noch gestern hätte ich Wetten darauf abgeschlossen, dass die Geschichten von Indianern, Saloons und wilden Schießereien längst alle erzählt sind. Aber: weit gefehlt. Señor Florian Arleth bringt demnächst eine Kriminovelle auf den Markt. Jetzt und hier, im Jahr 2014. Es ist faszinierend. Vor allem auch, da es um einen tanzenden Indianer geht, der erst von seinem größten Freund angeschossen wird und dann Mühe hat, das Pony, auf dem er sonst reitet, die Berge hochzutragen, die es selbst nicht mehr schafft. Das Komische an der Geschichte ist, dass sie ansonsten wohl durchaus ernst gemeint ist. Man darf gespannt sein. Ich warte mal ab.
Beim Zusammensuchen der Links bestätigt sich hier übrigens das, was vorher nur ein Gefühl war: Den einzig verlässlichen Permalink zur Veranstaltung gibt es tatsächlich nur bei Facebook und nicht bei den gastgebenden Verlagen. Das ist wirklich indie. Bei den Verlagen ganz am Ende der Popularitätsskala wird tatsächlich noch für jedes Wort geschwitzt. Da kann man die Buchstaben nicht einfach billig in den Marketingtechnologien des Netzes verschwenden. Da werden die Wörter noch sorgfältig zwischen Buchdeckel gewoben. Darum geht’s schließlich. Ich verstehe das. Auch wenn ich davon manchmal gern viel leichter etwas mitbekommen würde – schön bequem von der Couch aus, versteht sich.
Dem Sohn habe ich auf seine Frage, ob ich heute Abend noch arbeiten muss übrigens mit einem entschlossenen “Nicht so direkt.” geantwortet. “Dann schlaf gut.”, sagte er. Wenn der wüsste.