Manchmal braucht man gar nicht groß zu überlegen, wie die Dinge gerade stehen und ob es aktuell eher bergauf geht oder ob man quasi über dem Abgrund schwebt. Es ist auch nicht immer notwendig, für diesen Zweck massenweise andere Leute nach ihrer neutralen Einschätzung zu befragen. Es reicht stattdessen aus, einfach mal dem eigenen Nachwuchs zuzuhören.
So meinte die Tochter kürzlich, als ich gemeinsam mit den Kindern das Haus verließ, dass ihr meine Hose wirklich sehr gefällt. Das freut mich natürlich. Ich habe ihr das auch gesagt. Das baut schließlich auf. Positives Feedback ist wichtig. Für alle von uns. Das Kind soll lernen, dass sie ein Recht auf ihre eigene Meinung hat.
Sie weiß das auch zu schätzen, strahlt mich an und ergänzt prompt, dass meine Jacke auch sehr schön sein.
Das ist ein Mantel! Korrigiert ihr Bruder. Pädagogisches Geschick ist ihm noch fremd. Auch hält sich seine Großzügigkeit beim Tolerieren der jeweils eigenen Meinung von anderen sehr in Grenzen. Das gilt vor allem, wenn es um jüngere Familienmitglieder geht. Ich glaube, sie lieben sich trotzdem. Wie sonst wäre die Eleganz zu erklären, mit der seine Schwester seinen erhabenen Unterton übergeht und lapidar anmerkt, dass ihr die Jacke aber nunmal gefalle und sie diese somit selbstverständlich auch nennen kann, wie es ihr beliebt. Jacke, das passt schon.
Wie auch ein Verband am Fuß, den ich kürzlich mal trug. Der passte ebenfalls. Oder wie es die Tochter ausdrückt: Der ist aber schön! Der Sohn des Hauses sagt lieber nichts dazu, sondern guckt nur vielsagend und mit gehobener Augenbraue. Eher beiläufig nimmt es die Tochter zur Kenntnis, wendet sich von ihm ab und mir zu, um mit etwas mehr Nachdruck zu konkretisieren: “Papa, das sieht aber gut aus.”
Tja, was soll ich machen?
Irgendwann jetzt im Urlaub wurden der Dame des Hauses die recht einseitig verteilten Komplimente letztlich jedoch ganz offenbar doch zu viel und sie hat mal ein modisches Experiment gestartet. Es ergab sich nach einer Strandwanderung. Wer Strandwanderungen in einem Winter mit Herbstwetter kennt, weiß auch: Danach kann man seine getragenen Sachen gern zum Trocknen auf die Leine hängen. Wie selbstverständlich greift die Dame in einer ihr ganz eigenen Kreativität in den Schrank und zieht nicht nur eine Leggings heraus, sondern selbige auch an.
Ich sag’s mal so: Eine schöne Frau entstellt ja nichts. Und Gerüchten zufolge soll es ja sogar Leute geben, die zu Hause Ballonseide tragen. Es ist halt alles steigerbar. Aber zur Nachahmung ist das trotzdem nicht empfohlen. Man möchte doch auch noch mit Würde dem Notarzt gegenüber treten können, den schockierte Ehepartner gegebenenfalls spontan rufen könnten.
Lediglich die Tochter meint mitten in die plötzliche Schweigeminute hinein: “Mama, das sieht total chic aus! Das gefällt mir.”
Dann mache ich meinen Mund wohl lieber wieder zu, höre einfach mal auf den modebewussten Nachwuchs und freue mich, dass wir alle gut gekleidet und wohlaussehend in das neue Jahr gleiten.
Soviel Würde wünsche ich auch allen Lesern. Wir sehen uns hier hoffentlich auch im nächsten Jahr wieder. Und falls Sie noch einen guten Vorsatz suchen, schlage ich gern einen vor: Misten Sie doch mal Ihre Kleiderschränke aus und spenden die sicherlich eh ungetragenen Teile aus Ballonseide einfach dem Roten Kreuz. Aber fragen Sie bloß nicht vorher bei den Kindern nach Erlaubnis.
Cheers!