Ein Kaff
Von Señor Rolando
Wir waren kürzlich unterwegs. Mit dem Auto auf der Autobahn in Richtung alte Heimat. Wie es sich gehört, haben wir dabei die familiäre Rollenverteilung hübsch aufrecht gehalten. Das heißt: Die Dame ist gefahren und ich saß daneben, um hochqualifiziert ein angemessenes Nickerchen zu halten.
Irgendwann ist aber auch der schönste Reiseschlaf vorbei. Ich weiß gar nicht, warum das immer passiert. Manchmal sogar deutlich vor dem Ziel. Was für eine Verschwendung. Wahrscheinlich liegt’s nur daran, dass ich Stimmen höre. In solchen Momenten weiß man nie: Sind die jetzt nur eingebildet? Träume ich etwa? Oder sind sie ganz real? Muss ich mir Sorgen machen?
Na, letzteres wohl kaum. Dann hätte mich schließlich schon längst irgendjemand mit Pauken und Trompeten geweckt. Also bleibe ich mal ganz entspannt und wache in einem der Situation angemessenen Tempo auf. Draußen zieht die Landschaft ruhig vorbei. Daran kann ich nicht viel ändern. Nur langsam und schön nacheinander schalten die verschiedenen Sinne um auf bewusste Wahrnehmung.
Das Gehör kommt zuerst. Und stellt fest: Diese Stimmen sind real. Die Dame unterhält sich mit dem Sohn. Er hat das mit der Landschaft draußen und ihrem Vorbeiziehen ebenfalls bemerkt. Und er fragt nach dem tieferen Sinn dahinter. Er fragt, wo denn die alte Heimat überhaupt liegt. Die Dame erklärt wortreich. Zusammenfassend kann man sagen: Irgendwo in Deutschland. Ich höre Zweifel aus dem So so des Sohnes. Die nächste Frage liegt klar auf der Hand: Wo liegt denn dieses Deutschland? Wenn wir hier schon die Autobahn bemühen und draußen alles so entspannt vorbei gleitet, dann möchte der Sohn offenbar wirklich wissen, ob der Aufwand denn gerechtfertigt ist.
Die Dame ist geduldig und erklärt weiter. Wir sind in Deutschland, die alte Heimat liegt in Deutschland und selbst unsere ganz gewöhnlichen Südstaaten liegen noch in Deutschland.
Dem Sohn ist das sehr unheimlich. Er war nun wirklich schon öfter mit uns unterwegs. Und dann erzählt ihm hier jemand, dass all die ganzen Orte eigentlich ein und das selbe Kaff sind. Deutschland, also wirklich.
Eher beiläufig ringt er sich noch ein paar Worte ab. Ganz trocken sagt er schlicht: Jaja. Und die Ostsee liegt in Karlsruhe.
Ich bin dann mal wach. Und frage mich, wie aus ihm so ein abgeklärter Skeptiker geworden ist. Von seinen Eltern kann er das schließlich unmöglich haben.