Vom Einkaufen und sprachlichen Herausforderungen
Von Señor Rolando
Wenn man die Tochter fragt, herrscht hier im Haus eine klare Aufgabenteilung. Das ist gut so. Es ist von Vorteil, wenn jemand den Überblick behält. Ansonsten würde es nur drunter und drüber gehen. Nicht auszumalen. Es wäre das reinste Chaos. Aber wir haben ja die Tochter. Und fragt man sie, steht zum Beispiel fest: Geht es um das Einkaufen, ist Papa dran. Und sie unterstützt. Immer. Grundsätzlich. Zumindest, wenn man die Tochter fragt. Und selbst, wenn mal niemand fragt, findet sie Gelegenheiten, um auf diverse Sachen zu zeigen und zu sagen: Hat Papa gekauft! Und ich auch!
Statistisch lässt sich das Ganze wahrscheinlich gar nicht belegen. In Wirklichkeit ist es hier im Haus durchaus so, dass die meisten Tätigkeiten des Alltags mehr oder weniger wechselseitig von den zuständigen Erwachsenen erledigt werden. Da ist durchaus Rotation im Geschäft. Es soll ja nicht langweilig werden. Aber Einkaufen scheint für die Kinder etwas ganz Besonderes zu sein. Das kann man nicht einfach vergleichen mit Wäschewaschen, Müll herunter bringen oder Fußboden reinigen. Das muss man verstehen. Denn beim Einkaufen springt auch meist etwas für die Kinder mit heraus. So ist’s ja nicht. Sie äußern schließlich unentwegt Wünsche. Da kann es mit dem Einen oder Anderen durchaus mal klappen. Und egal, ob es dabei um den Nuss-Nugat-Brotaufstrich geht, um den extra leckeren Orangensaft oder das Sprudelwasser, um die Erdnussbutter oder verschiedenste Melonensorten: Das sind alles feine Sachen, die nur dann auf den Tisch kommen, wenn sie vorher jemand eingekauft hat. Dabei hilft es natürlich, wenn man gute Beziehungen zum Einkaufenden hat oder einfach selbst mit Hand anlegt und im Supermarkt die Sachen aus dem Regal mit Schmackes in den eigenen Korb wirft. Genau so macht’s die Tochter und ist entsprechend stolz auf ihre Leistungen.
Wenn somit beim Essen der Sohn erfreut feststellt, dass sein Lieblingsjoghurt endlich wieder vorrätig ist, stellt die Tochter schlicht ganz nüchtern fest: Hat Papa gekauft! Um direkt danach zu ergänzen: Ich auch einkauft! Im Wagen!
Da liegt sie nicht ganz falsch. Denn wenn wir nicht ihr Laufrad bemühen, nehmen wir auf dem Gang zum Laden um die Ecke gern ihren Kinderwagen mit. Das ist praktisch, nicht zuletzt, weil sie auch gleich einen Teil des Einkaufs elegant im Kofferraum des Gefährts verstauen kann. So langsam kommt die Tochter jedoch in ein Alter, in dem sie sich ruhig an korrekte Bezeichnungen gewöhnen kann. Wir sind hier schließlich nicht im sprachlichen Niemandsland. Also wirklich. Da kann man ruhig rechtzeitig anfangen, erst gar keinen Slang einziehen zu lassen. Wagen, also wirklich. Wehret den Anfängen! Die Dame des Hauses bittet unsere Tochter somit charmant: Sag doch mal: Kinderwagen.
Und die Tochter sagt: Kinder! Wagen!
Das ist nah dran. Das lassen wir durchgehen. Ein paar Ausrufezeichen extra braucht sie. So kennen wir sie. Diese seien ihr gegönnt. Hauptsache, sie gewöhnt sich langsam an zusammengesetzte Substantive. Die Welt ist schließlich komplex. Wenn sie diese sprachliche Herausforderung meistert, wird sie weit kommen im Leben. Davon kann auch ihr großer Bruder ein Lied singen. Er musste da schließlich auch schon durch. Aus purer Zuneigung seiner kleinen Schwester gegenüber hilft er ihr gern, wo er nur kann. Er lässt sie an seiner reichhaltigen Lebenserfahrung teilhaben. Sie soll es schließlich leichter haben als er. In dieser umfassenden Fürsorglichkeit guckt er seine Schwester in diesem Moment an, fängt leicht an zu grinsen, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und meint zu ihr: Und jetzt sag mal: Filzmupfen.
Hach ja, Geschwisterliebe. Und wenn man den Sohn fragt, herrscht wohl auch in Erziehungsfragen eine glasklare Aufgabenteilung.