Erlaubnis
Von Señor Rolando
Wer glaubt, dass sich wahre strategische Fähigkeiten erst durch ein ausreichendes Maß an Erfahrungen in höheren Lebensjahren entwickeln, irrt natürlich gewaltig und sollte noch einmal genauer hinsehen. Das strategische Geschick wird sichtbar, sobald der Nachwuchs anfängt, sprechen zu lernen. All jene, die schon einmal versucht haben, als Erziehungsberechtigte mit der eigenen Zielgruppe zu argumentieren, kennen das sicher: Man erklärt in quasi vollkommener logischer Eleganz relativ einfache Sachverhalte. Oft geht’s dabei um Medienkonsum, weil die Jugend die im Haus vorhandenen Rechengeräte für sich entdeckt hat. Oder es geht um Nahrungsaufnahme zwischen den Mahlzeiten, welche eher selten mit der vom Familienvorstand empfohlenen Auswahl zu tun hat.
Man kennt das. Es ist sicher überall das Gleiche: Die Kinder äußern dubiose Wünsche. Die wohlmeindenden, weitsichtigen und logisch elegant erklärenden Eltern bringen sie wieder zur Vernunft.
Das funktioniert ganz hervorragend bis zu dem Moment, in dem die Kinder feststellen, dass die rhetorisch geschickten Antworten der Eltern keineswegs immer exklusiv einzigartige Wahrheiten sind, sondern dass sich Mama und Papa ganz einfach abstimmen und den unisono verkündeten Standpunkt vorher abgesprochen haben. Auf diese Erkenntnis folgt, was folgen muss: Die Kinder versuchen, die Eltern jeweils allein zu erwischen und dann mit Fragen und Wünschen zu bombardieren. Dabei ist es natürlich eh klar, dass der jeweils andere Elter alles schon längst erlaubt hat, was man selbst gerade nicht im Vorübergehen zulassen möchte.
Wie gesagt: Man kennt das. Und als moderne Eltern von heute stimmt man sich einfach trotzdem ab. Das geht. Meistens sogar so gut, dass die Kinder es noch nicht einmal bemerken. Über die Strategien dahinter möchte ich hier jetzt gar nicht viel verraten. Diese entwickeln sich ganz von selbst. Man kennt sich schließlich, man weiß, wie der Partner tickt, man hat die wesentlichen Grundpfeiler des häuslichen Regelwerks schon vor Langem festgezurrt. Da können die Kinder ruhig kommen und versuchen, einen auszutricksen. Sie haben keine Chance.
So saß auch neulich der Sohn am Tisch, bringt erst ein paar Gummibärchen in klare geometrische Formation und streckt dann die Hand aus, um aus dem Vorrat seiner kleinen Schwester weiteren Nachschub zu besorgen. So geht das natürlich nicht. Wir hatten schließlich vorher ausgemacht, wie das ganze Kleinvieh aufgeteilt wird. Da kann er jetzt nicht einfach so tun, als ob die Absprache nicht mehr gilt. Ich gucke also zu ihm herüber. Er weiß, was das heißt. Und sagt: Aber die Schwester hat es mir erlaubt! Sie nickt nur stumm.
Ich glaube, ich werde jetzt mal versuchen, die Kinder jeweils einzeln zu erwischen und strategisch geschickt ein paar Absprachen einzutüten.