Südstaatenkreativität
Von Señor Rolando
Rituale sind dafür da, dass man sich auf sie verlassen kann. Das gilt sogar für saisonale Rituale. Ein ganz großes sind die jährlichen Öffnungszeiten von Eisverkäufern: Im Sommer sind sie da und bedienen Schlangen von genusssüchtigen Massen, im Winter sind sie verschwunden und wir stellen uns vor, dass sie das Dolce Vita im Süden genießen. Ein anderes großes Ritual veranstaltet der Rest von uns: all jene, die kein Eis verkaufen. Nur, dass wir den Spieß umdrehen und halt im Sommer einen auf Dolce Vita machen. Das sieht bei uns in der Familie ganz ähnlich aus. Allerdings verteilen wir den Sommer in etwa gleichmäßig über das Jahr und fahren immer mal aus unseren Südstaaten in den Norden zur Ostsee. Wenn das Wetter halt mitspielt. Wie jetzt gerade wieder.
Das ist nicht nur generell eine charmante Abwechslung, das gefällt auch den Kindern. Nach ein paar Anläufen kennen sie die Gegend und können sogar einen guten Teil der regelmäßig vorbei fahrenden Boote benennen. Es sind große Fähren ebenso dabei wie Küsschenwachen, kleine Hafenrundfahrten, Containerboote, die immer wieder mal kommen und sportliche Schlepper, welche selbige durch die Gegend ziehen. Von allen Sorten hat der Sohn sich bereits besondere Lieblinge herausgesucht. Insgesamt hat er in etwa sieben Lieblingsboote. Es schadet nicht, hier ein wenig zu diversifizieren.
Wir haben also unsere Freude an der Küste. Aber man ahnt es sicher: Irgendwann fehlt meist doch die Heimat. Der Sohn sagt in solchen Momenten: Papa, ich will mal wieder nach Hause. Unser restliches Spielzeug holen. Und dann will ich aber gleich wieder hierher. Können wir einfach ganz viel bei meinen Lieblingsbooten bleiben?
Ich erzähle ihm daraufhin etwas von Heimat, unserem Zuhause, von seinen Kumpels, der Kita und auch davon, dass seine Eltern ganz gern zur Abwechslung mal wieder arbeiten würden. Nicht immer nur Strand, Boote zählen und Löcher in die Luft gucken.
Sohn: Ach was, Papa. An den Computer kannst Du Dich doch auch hier immer mal setzen. Du arbeitest und wir spielen dann ganz ruhig, ja?
Die anderen Punkte leuchten ihm jedoch ein. Vom inneren Konflikt getrieben wird der Sohn dabei kreativ: Papa, ich habe eine Idee! Wir können doch im Winter in Karlsruhe wohnen und im Sommer an der Ostsee. Das wäre schön, oder? Tja, da hat er doch durchaus einen Punkt, der Herr Nachwuchs. Warum eigentlich sollen nur italienische Eisverkäufer von saisonalen Wetterschwankungen profitieren?
Wahrscheinlich, weil das Wetter macht, was es will und gar kein wirkliches Ritual mehr ist. Da will man nämlich selbst im Winter auf einmal ein Eis essen und auch im Sommer seinen Kaffee mit den Kollegen trinken. Offenbar ist auf wirklich nichts mehr Verlass. Schlimm ist das.