Unter Kontrolle
Von Señor Rolando
Früher, also vor langer Zeit, als der Sohn noch ganz klein war und gerade mal frisch Laufen konnte, stand er glatt eines Abends in der Küche, guckte noch recht schlaftrunken, schaute sich trotzdem ganz in Ruhe um und fragte dann ungläubig: Papa, wer ist dieser Mann?
Wir hatten wohl Besuch. Kommt in den besten Familien vor. Und legt man sich Nachwuchs zu, steht im Kleingedruckten nirgends, dass man diesem auf einmal über alles sofort Rechenschaft schuldig ist und Männerbesuch erst mal angekündigt gehört. So plump diese Frage also war, so plump habe ich ihn geschnappt und in sein Bett zurück getragen. Das Thema war damit abgehakt. Dachte ich.
Denn der Sohn hat natürlich dazu gelernt.
Heutzutage steht er nicht mehr einfach so am späteren Abend irgendwo in der Gegend herum. Dazu müsste er schließlich aufstehen. Und wer weiß schon, ob sich das lohnt? Eben. Darum gewährt der kleine Herr jetzt Audienzen. Er bittet die Erziehungsberechtigten großzügig zu sich. Ganz dezent, versteht sich. Nur, wenn diese einfach nicht hören wollen, wird er dabei laut. Ist das Personal irgendwann endlich vor Ort, darf es dann gern behilflich sein.
Er sagt: Muss Pipi!
Er meint: Es könnte sein, dass ich auf die Toilette muss. Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht. Auf jeden Fall bin ich wach und Du kannst mich jetzt bitte ganz vorsichtig aus dem Bett heben. Bitte so, dass meine Füße dabei nicht den Boden berühren. Der könnte schließlich kalt sein. Idealerweise trägst Du mich dann vorsichtig ins Bad. Ich kann auch selbst laufen. Aber was, wenn ich dann krank werde? Trag‘ mich mal lieber. Und halte Deinen Kopf nicht wieder vor meine Augen. Der stört mich da. Und wenn die ganze Aktion sinnlos war, bringst Du mich wieder zurück. Vorsichtig, ja? Schließlich schlafe ich streng genommen ja noch. Kannst mich aber trotzdem hinlegen. Und zudecken, bitte!
So in etwa läuft das dann auch. Die Hierarchien in der Familie sind klar. Da muss man nicht immer lange fragen, wer jetzt eigentlich was zu sagen hat. Es ist letztlich ganz klar. Da machen wir uns mal nichts vor. Zumindest so lange nicht, wie die Tochter noch zu klein für grammatikalisch vollständige Imperativsätze ist.
Wenn der Sohn wieder im Bett liegt und man sich so denkt, dass damit endlich wieder Ruhe einkehrt, fragt er noch ganz beiläufig: Papa, wer sitzt da in der Küche?
Ich antworte: Wir haben Besuch.
Er: Und Ihr esst noch etwas? Nach dem Abendbrot?
Ich: Ja. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so!
Er: Und was esst Ihr da? Brot?
Ich: Ja, genau. Brot, passt gut zum Wein.
Er: Und wozu braucht Ihr da Gabeln?
Die hat er nämlich klimpern gehört, der Sohn. Genau jener Sohn, über den wir noch kurz vorher dem Besuch ganz glaubhaft erzählt haben, dass er jeden Tag pünktlich ins Bett geht, problemlos einschläft und garantiert erst am Morgen wieder wach wird. Dieser durchschlafende Sohn ist im Moment jedoch sogar noch munter genug, um leise zu sagen: Durch das Schlüsselloch habe ich schon geguckt. Aber da sieht man ja fast gar nichts! Das ist schade, stimmt’s?
Dann fallen ihm aber doch die Augen zu und er fängt leise an zu schnarchen. Im Traum entwirft er bestimmt schon mal eine Überwachungsanlage mit Videokameras an allen Ecken. So kann das hier schließlich nicht weitergehen.