Mittagsschlaf
Von Señor Rolando
Kinder sind ein Spiegel. Sie gucken einen genau an und machen dann alles nach. Der Unterschied zum Spiegel ist eigentlich nur, dass sie auch dann noch hingucken, wenn man sich selbst schon längst umgedreht hat. Das ist übrigens gar nicht so schlimm, wie mancher von uns gemeinhin denkt. Denn die eigenen Kinder bestätigen einen auch immer wieder darin, dass man sich grundsätzlich korrekt verhält, einen stilvollen Umgang pflegt und auch sonst einfach nur unheimlich großartig, charmant und ausgeglichen ist.
Da sitzt der Sohn schon mal beim Essen und fragt höflich nach einer Serviette, um sich den Mund abtupfen zu können, bevor er zu seinem Glas greift. Da bittet der Sohn schon mal an einem trägen Morgen: Papa, kannst Du mir bitte die Schuhe anziehen? Da unterstreicht er sein Verständnis der Balance von Geben und Nehmen, welche er sich bei seinen Eltern abgeschaut hat, mittels: Ich habe Dir auch schon Deinen Mantel hier hingelegt. Da rennt er auf dem Weg zum Spielplatz schon mal freudig als erster aus der Wohnung, holt den Fahrstuhl und hält an diesem die Tür auf, bis die gesamte Familie es endlich hinein geschafft hat. Da grüßt er vor dem Haus jeden Bauarbeiter mit einem freudigen Guten Morgen!. Welches er allerdings auch nachdrücklich wiederholt, wenn der Angesprochene nicht adäquat reagiert.
Und wenn man als moderner Mann von heute mal voller Elan und guter Laune von der Arbeit nach Hause kommt, da man sich auf rasantes Spiel mit dem Sohn und seinem Fuhrpark freut oder es kaum erwarten kann, in seinem Einkaufsladen wieder nichts verkauft zu bekommen, dann, ja, dann kann es schon mal passieren, dass der Sohn die gerade mit ihm spielende Dame des Hauses fragt: Mama, hat der Papa heute im Büro Mittagsschlaf gehalten?
Ich frage mich, woher er das nur hat.